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Rätsel einer
merkwürdigen
Krankheit

Bethel-Symposium zur Epilepsie

Von Sabine Schulze
Bethel (WB). Warum »verwächst« sich bei manchen Menschen die Epilepsie, während bei anderen schon der erste, zweite Anfall für eine chronische Erkrankung die Bahn zu bereiten scheint? Warum wirken Medikamente bei einem Patienten, während bei seinem Zimmernachbarn selbst ein ganzes Arsenal von Arzneien nichts bewirkt? Mit diesen und vielen anderen Fragen haben sich in dieser Woche in Bethel Fachleute aus aller Welt befasst.

Zum 16. Mal hat das »International Bethel-Cleveland Clinic Epilepsy Symposium« stattgefunden, dessen Teilnehmer sich über eine Erkrankung austauschten, die etwa ein Prozent der Bevölkerung betrifft. Angereist waren gut 200 Spezialisten aus den USA und Kanada ebenso wie aus Brasilien, Indien und dem Kongo. Ihr besonderes Augenmerk haben die Wissenschaftler auf Epilepsien in Entwicklungsländern gelegt: auf Auslöser und Therapien - beziehungsweise die Nicht-Behandlung der Krankheit und damit auf den »natürlichen Verlauf«.
»Etwa 80 Prozent der Epilepsiekranken in den Entwicklungsländern werden nicht behandelt.« Die Ursache liegt in den sozioökonomischen Verhältnissen. »In 20 bis 30 Prozent der Fälle aber verschwindet die Krankheit dennoch ganz von selbst«, erklärt Prof. Dr. Bernd Pohlmann-Eden, Chefarzt des Epilepsie-Zentrums Bethel. Offenkundig lernt das Gehirn, die Anfälle zu unterdrücken.
Auch in Europa und Nordamerika wird nicht immer sofort behandelt. Bei manchen Epilepsien im Kindesalter kann man abwarten, und auch der erste Anfall eines Erwachsenen wird nur in Ausnahmefällen therapiert: »Man nimmt ihn eher als ein Symptom.«
Während in den Entwicklungsländern die Betroffenen immer jünger werden, weil die Epilepsie dort sehr häufig Folge einer Infektionskrankheit ist, wird in Deutschland und vergleichbaren Staaten die Altersepilepsie eine immer größere Rolle spielen. Sie ist oft Folge einer Durchblutungsstörung und eines - zuweilen unbemerkten - Schlaganfalls.
In der Diskussion der Fachleute waren auch die Epilepsie-Medikamente: Sie können - sofern ein Patient nicht resistent ist - nur den Anfall unterdrücken, sie ändern nichts an der Langzeitprognose und können auch nicht die Ursachen beseitigen. Zu denen gehört, wie Pohlmann-Eden betont, immer auch die Erblichkeit: »Der eine Patient hat nach einem Unfall Narben im Gehirn, und es passiert nichts. Bei dem anderen ist das Bild genau das Gleiche - und er bekommt Anfälle. Meistens finden wir dann eine familiäre Belastung.«
Wenn Patienten nach drei Medikamenten-Versuchen nicht auf Arzneien ansprechen, würden sie zu 95 Prozent nicht mehr anfallsfrei, sagen Fachleute. In Bethel werden sie dann sofort regelhaft der Epilepsiechirurgie vorgestellt. »Wenn dann nur ein Herd im Gehirn verantwortlich ist für die Anfälle, versuchen wir zu operieren.« In 70 bis 90 Prozent der Operationen - gut 1000 sind es mittlerweile, damit ist Bethel führend - mit Erfolg.

Artikel vom 28.06.2005