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Ministerpräsident Rüttgers will
NRW in gute Zukunft führen

Nach 39 Jahren übernehmen die Christdemokraten wieder das Ruder

Von Reinhard Brockmann
Düsseldorf (WB). Der kleine Extra-Beifall dauerte 39 Sekunden, für jedes Oppositionsjahr eine. Gestern nahm Jürgen Rüttgers im Landtag erstmals Platz auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen.
»Ich empfinde ein Gefühl der Dankbarkeit, auch weil ich lange auf diesen Tag hingearbeitet habe.« Tief bewegt nimmt der 53-jährige Jürgen Rüttgers den Applaus aus den Reihen seiner Fraktion entgegen.
Peer Steinbrück (r.) gratuliert seinem Nachfolger, dem neuen Regierungschef Jürgen Rüttgers.

Die Arme verschränkt, den Kopf leicht geneigt neben sich die noch leere Doppelreihe von Ministersesseln genoss er eher schüchtern den Triumph, den CDU und FDP, aber auch viele Ehemalige auf den Zuschauerrängen um so kräftiger bejubelten. 1966 hatte Franz Meyers als letzter CDU-Ministerpräsident das Amt an Heinz Kühn von der SPD abtreten müssen. Damals, noch im alten Ständehaus am Düsseldorfer Schwanenspiegel, fürchteten die Christdemokraten womöglich ein Vierteljahrhundert warten zu müssen, bis sie wieder ins Amt kämen. Es wurden fast vier Jahrzehnte.
Eine Gegenstimme und eine Enthaltung aus dem eigenen Lager bei der geheimen Wahl, dem einzigen Tagesordnungspunkt gestern im Landtag, konnten Rüttgers die gute Laune nicht nehmen. Nein, das ärgere ihn nicht, sagte der frischgebackene Landesvater dem WESTFALEN-BLATT am Rande des anschließenden Empfangs. Dass es immer auch mal Enttäuschte gäbe, sei doch nicht ungewöhnlich. Auch Bundeskanzlern sei so etwas schon widerfahren.
Freude, aber auch Dankbarkeit habe ihn erfüllt, als er auf dem Sessel des Ministerpräsidenten Platz genommen hatte, berichtete Rüttgers weiter. Ja, er sei sich durchaus allein vorgekommen in diesem Moment, »aber rechts oben auf der Tribüne saß meine Fernsehklasse.« Rüttgers hatte jene Hauptschulklasse aus Essen eingeladen, die er beim ZDF-Politiker-Test kürzlich unterrichtet hatte. Außerdem wusste Rüttgers neben der Fernseh-Familie besonders seine Frau und die drei Söhne, Markus, Lukas und Thomas, ganz in seiner Nähe.
Als erster Gratulant nach der Wahl mit 99 Ja-Stimmen, 1 Enthaltung und 87 Nein-Stimmen eilte Vorgänger Peer Steinbrück zu dem neuen ersten Mann im Hause. Noch wärend der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses hatte der abgewählte SPD-Ministerpräsident tapfer nach vorn gestarrt. Jetzt war Steinbrück gefasst, der Gratulation schloss sich ein kurzer Wortwechsel an, den Steinbrück auf seine trocken norddeutsche Art zu meistern schien.
Höfliche Worte fand Rüttgers in einer kurzen Ansprache auch öffentlich für Steinbrück. Er habe sich um das Land verdient gemacht. Auch dankte Rüttgers für die faire Debattenführung und dass bei allen TV-Duells und harten Wahlkampfbandagen Respekt und Achtung füreinander gewahrt wurden. Zugleich baute der neue Regierungschef vor: »Wir werden diskutieren und auch streiten über den richtigen Weg.« Der Wille, das Land in eine gute Zukunft zu führen, verbinde Regierung und Opposition schloss Rüttgers seine Rede, diesmal auch unter dem Beifall von SPD und Grünen.
Und während für den neuen Ministerpräsidenten an diesem Tag alle Wünsche in Erfüllung gingen, schlug er die immer zu hörende Frage nach seinem neuen Kabinett mit stets derselben Antwort ab: »Nur noch einmal schlafen...«
Auch die CDU- und FDP-Abgeordneten aus Ostwestfalen-Lippe schauen voller Erwartung auf die nächsten Tage. »Jetzt geht's los«, sagte Michael Brinkmeyer (Kreis Gütersloh). Ingrid Pieper-von-Heiden (Lippe) hofft endlich, die neue Bildungspolitik voranzubringen und Rainer Lux (Bielefeld) staunte irgendwie immer noch. Dieser Tage sei ihm sein Ausweis von der Jungen Union in die Hände gefallen, erzählte Lux. Ausstellungsjahr 1966: »Solange haben wir gebraucht, um in NRW wieder zu regieren, man fasst es kaum.«
Paderborns Bürgermeister Heinz Paus, der 20 Jahre dem Landtag angehörte, war auch gekommen - als Präsident des Städte- und Gemeindebundes. Zu Spekulationen um das Amt des Justizministers sagte er kein Wort. Und auch der künftige Staatssektretär Günter Kozlowski übte sich im vielsagenden Schweigen, war aber auf der Landtagstribüne im intensiven Gespräch mit dem »Ministerkandidaten« Oliver Wittke aus Gelsenkirchen für alle zu sehen.
Zusehen wollten gestern auch viele Ehemalige - vom letzten FDP-Wirtschaftsminister Horst-Ludwig Riemer, über den langjährigen familienpolitischen Sprecher Antonius Rüsenberg bis zur Bielefelder Sozialpolitikerin Angelika Gemkow. Für Maria Westerhorstmann, Delbrücker Abgeordnete, zählte nach der Rüttgerswahl allein der Sieg: »Wir hammm's« sagte sie westfälisch korrekt und beteiligte sich demonstrativ nicht an der sofort einsetzenden Suche nach den zwei Abweichlern aus Reihen der CDU. Bei der FDP hieß es unisono: »Wir nicht!«

Artikel vom 23.06.2005