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Hier sind Kinder gut aufgehoben - und das schon seit 125 Jahren. Foto: Annemargret Ohlig

Ein wahrer Segen für Arbeiterkinder

Louise-Scheppler-Kindergarten wird 125 Jahre alt - mit Schenkungen fing alles an

Von Annemargret Ohlig
Brackwede (WB). »Evangelischer Louise-Scheppler-Kindergarten/Hort Wikingerstr. 15b« steht als bunter Schriftzug auf dem Schild am Eingangsbereich. Um auch bei den leseunkundigen Jüngsten alle Unklarheiten darüber auszuräumen, um was es sich bei dem etwas versteckt liegenden Gebäude zwischen Vogelruthschule und Gustav-Münter-Haus handelt, ist noch ein Kinderpaar darauf zu sehen.

Dabei braucht es diesen schriftlichen Hinweis auf den quicklebendigen »Inhalt« des langgezogenen, weißen Hauses eigentlich gar nicht. Geht man nämlich den schmalen Fußweg von der Brackweder Hauptstraße zur Vogelruth hinunter, dann lassen sich die spielenden und lachenden Kinder, die nicht nur bei gutem Wetter über das Freigelände von Brackwedes ältestem Kindergarten toben, wohl kaum übersehen oder überhören.
Als vor 125 Jahren, am 14. November 1880, an dieser Stelle Brackwedes »Kleinkinderschule« eingeweiht wurde, war das allerdings noch nicht der Fall. Denn damals prägten nahezu ausschließlich Disziplin, Ordnung, Reinlichkeit, gesittete Beschäftigungen, Spaziergänge und religiöse Unterweisungen und Lieder den Kindergartenalltag.
Spontanes und kreatives Spiel und Toben, so wie es heute üblich ist - das hätten die erste Leiterin, die Sarepta-Diakonisse Emilie Müller, und ihre einzige Hilfe, die Kinderschwester und Diakonisse Christine Ruhe, bei 90 zu betreuenden Kindern wohl auch nicht geduldet. Außerdem war das einfach nicht üblich.
Und dennoch: Für die Kleinen, die vor mehr als einem Jahrhundert ihren Tag in dem roten Klinkerhaus der Kleinkinderschule verbrachten, war der Aufenthalt ein wahrer Segen. Denn die Alternative wäre gewesen: Allein und unversorgt zu Hause zu bleiben. Die Industrialisierung hatte mit Macht Einzug gehalten - auch in Brackwede. Der Not gehorchend, arbeiteten Vater und Mutter jetzt in Fabriken, der Nachwuchs blieb sich oft selbst überlassen. Brackwede entwickelte sich von einer Land- zu einer Arbeitergemeinde.
Dieses und die damit verbundenen Probleme sah damals Pastor Friedrich Kunsemüller. Er war von 1873 - 1885 in Brackwede tätig. Kunsemüller machte die Bürger auf diese Misere aufmerksam und warb bei Sponsoren - die man damals aber noch nicht so nannte - um Spenden für den Bau einer Kleinkinderschule.
Durch Schenkungen kam ein Betrag von 9541 Mark zusammen. Auch Fräulein A. Möller (aus der Unternehmerfamilie der Möllerwerke) erwies sich damals als großzügig. Aber: »Durch ein Missverständnis übersandten wir Ihnen am 27. d.Monats als Geschenk von Fräulein Möller für die Kleinkinderschule statt 300 Th(aler) nur 300 M(ar)k«. Wir überweisen Ihnen dafür inliegend noch 600 Mk. mit der Bitte um gefällige Empfangs-Anzeige«, heißt es in einem Brief an Pastor Kunsemüller.
Dank dieser und weiterer großherziger Spenden konnte schon bald der Grundstückskauf abgeschlossen und mit dem Bau begonnen werden. Auch wenn der Pfarrer sich in einem Schreiben an den Superintendenten über die hohen Grundstückspreise in Brackwede beklagte.
Für das Gelände, das neben dem eigentlichen Kleinkinderschul-Areal auch noch das Gelände umfasst, auf dem heute das Gustav-Münter-Haus steht, musste der Kunsemöller ganze 1692 Mark! bezahlen. Und die Baukosten für den Rohbau schlugen mit traumhaften 5490 Mark zu Buche.
Das Grundstück in unmittelbarer Nähe zur Schule war damals mit Bedacht gewählt worden - damit die älteren Geschwister die Kleinen auf ihrem Schulweg im »Kindergarten« abliefern und nachher auch wieder abholen konnten.

Artikel vom 24.06.2005