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Leitartikel
Der Iran im Wandel

Jugend wählt
Partys -ĂŠnicht Parteien


Von Bernhard Hertlein
Akbar Haschemi Rafsandschani war für die Präsidenten-Stichwahl im Iran gesetzt. Aber Mahmud Ahmadi-Nedschad? Den Bürgermeister von Teheran hatte kaum einer der ausländischen Beobachter auf seiner Liste. Zu spät kam der Schwenk des »geistlichen Führers« und eigentlichen Machthabers Ajatollah Ali Chamenei. Dessen ursprünglicher Favorit, der genauso ultrakonservative frühere Polizeikommandant Mohammed Baker Kalibaf, drohte wohl der Kontrolle Chameneis zu entgleiten. Da wurde über das Netz der Imane kleiner Moscheen und über die Revolutionsgarden der Pasdaran in Windeseile die Losung ausgegeben, der neue Kandidat der islamischen Revolution sei Ahmadi-Neschad.
Zugleich erhöhte Chamenei den Druck auf die Reformer. Wahlveranstaltungen wurden gesprengt, Anhänger verprügelt. In Teheran, Ahvaz und Zahedan explodierten Bomben. Mit freien Wahlen im westlich-demokratischen Sinn hatte das nichts zu tun. Aber daran glaubte im Iran ohnehin keiner mehr, seit Liberale zu Beginn der Nominierung reihenweise von der Kandidatenliste gestrichen worden waren.
Mit dem Ergebnis des ersten Wahlgangs haben die Religiösen und Ultrakonservativen ihr Ziel schon erreicht. Auch Rafsandschani, hinter dem sich jetzt die Reformorientierten notgedrungen versammeln, bildet für die eigentlichen Machthaber um Chamenei keine Gefahr. Mit ihm werden sie es sogar leichter haben als mit dem scheidenden Mohammed Chatami. Rafsandschani, erfahren, machtbewusst und superreich, will zwar die Beziehungen zu den USA verbessern. Und die Frauen auf seinen Wahlplakaten sind geschminkt und haben ihre Kopftücher bis über den Haaransatz hinaus zurückgezogen. Doch damit kann Chamenei umgehen - vielleicht einfacher als mit dem ganz auf Linie liegenden Nicht-Kleriker und Nicht-Intellektuellen Ahmadi-Neschad. Der Typ Volkstribun hat seine eigentliche Wählerbasis im Süden Teherans durch Hilfen für die Benachteiligten, vor allem durch sozialen Wohnungsbau, überzeugt. Jetzt ist Ahmadi-Nedschad nicht nur für das Ausland nicht berechenbar, sondern auch für die Turban tragende Klerikerkaste im Iran.
So läuft an diesem Freitag bei der Stichwahl wieder alles auf Rafsandschani hinaus. Ihn kennen die Iraner. Er war »Khomeinis Bankier« und von 1989 bis 1997 schon einmal Präsident. Damals war er für viele Menschenrechtsverletzungen bis hin zu gezielten Morden an politischen Gegnern in Berlin und Wien verantwortlich. Hat er sich seitdem gewandelt? Zumindest erkennt der 70jährige, wie sich die Gesellschaft im Iran verändert. Wie weit sich ein Großteil der Bevölkerung von den Grundsätzen der schiitischen Revolution verabschiedet hat, zeigt sich so lange nicht in den Wahlkabinen, wie dort nicht wirklich über die Macht im Land entschieden wird. Die Strahlkraft der Freiheit zeigt sich auf den Partys der städtischen Jugend, in den Wohnungen der Eltern, in den Hörsälen der Universitäten und immer häufiger auch direkt auf den Straßen.

Artikel vom 23.06.2005