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Bestimmt, dachte Hansen und wandte sich um, um zu verfolgen, wie der Däne sich zwischen Sommerfrischlern, Hunden und Dienstleuten durchschlängelte. Er begrüßte eine Dame, die einen riesigen fliederfarbenen Hut trug und Hansen deswegen schon an Bord aufgefallen war. Ihr etwas einfältiges Gesicht hatte ihn nicht weiter interessiert, er bevorzugte kluge Menschen, gleich ob Mann oder Frau.
Andresen war ein derart kluger Mann. Seine lockere unkomplizierte dänische Art hinderte ihn nicht daran, scharf zu beobachten, gezielte Fragen zu stellen und ganz nebenher jemanden auf Bestechlichkeit zu überprüfen. Ganz abgesehen davon, dass er Hansen erfolgreich wegen Petersen gereizt hatte. Dessen Namen hatte Andresen bestimmt nicht vergessen.
Der Erfolg dieses Geschäftsmannes wunderte Hansen nicht.

Kapitel 17
Broder Bandick, der Leuchtfeuermeister, hatte selbst Dienst, und mit ihm zusammen der junge Mann, der sich so gut an den Sturm erinnert hatte.
Bandick ließ das Fernrohr sinken und legte es hin. »Das ist ja eine Überraschung«, sagte er und reichte Hansen die Hand. »Setz dich. Mein Kollege Boy Jensen. Ist Wirk auch mitgekommen?«
Hansen gab Jensen ebenfalls die Hand. »Nein, ich bin von Husum direkt hierher gefahren.«
»Also ein dienstlicher Besuch. Man sieht jemanden vom Wasserbauamt nicht gar so häufig hier.«
»Nein, aber es geht um die Planung eines neuen Leuchtfeuers. Da kann man die Ratschläge von Fachleuten gut gebrauchen.«
Bandick schmunzelte. »Jetzt schwindelst du aber. Die Planer von Leuchttürmen haben noch nie auf die Meinung eines Leuchtturmwärters gehört.«
Hansen lachte freimütig, weil er ertappt worden war. »Können wir nach draußen gehen?«
»Natürlich«, sagte der Leuchtfeuermeister und erhob sich mit Neugier im Gesicht.
Hier oben war der Wind frischer, als Hansen ihn auf dem Dampfer empfunden hatte. Westwind. »Die Frage ist, wo ein Leuchtturm am sinnvollsten für die Schifffahrt sein würde«, erklärte er, während er die Gegend, die ihn am meisten interessierte, sorgfältig musterte. »Seitdem ich den Mann kennengelernt habe, der ihn befürwortet, bin ich davon überzeugt, dass er ihn durchsetzt.«
»Der dänische Kapitalist etwa?«, fragte Bandick mit böse gefurchter Stirn.
»Genau der.« Hansen nickte.
»Für seine Gäste, damit die nicht vor Langeweile sterben?«
»Es kommen in Frage Hörnum auf Sylt, Nordmarsch und Hooge«, zählte Hansen auf, ohne sich auf die Erbitterung des Leuchtfeuermeisters einzulassen. Immerhin war er im Dienst.
»Wenn einer Geld hat, kann er alles machen«, knurrte Bandick und spuckte mit dem Wind über den Handlauf. »Hörnum muss nicht sein. Wer will schon bei Nacht ins Hörnumtief? Bei Tag ist die Bake auf der Düne vollkommen ausreichend. Und Hooge wäre geradezu Blödsinn! Geldverschwendung!«
»Und Nordmarsch?«
Der Leuchtfeuermeister kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. »Ja, da sieht's schon anders aus. Wenn der Vorschlag nicht gerade von Andresen käme, würde ich sagen: sofort mit dem Bau anfangen!«
Hansen grinste. »Genau das sagt mein Vorgesetzter auch.«usatz
»Spricht für ihn«, meinte Bandick. »Der Schiffsverkehr nach Wyk auf Föhr ist ziemlich dicht, heute nicht mehr so wie früher, aber immerhin. Es gibt die Schiffswerft É Dem Eigner gehört die Henriette, die bis Brasilien auf Fahrt geht. Und fremde Kuffen, Galioten, Schoner, alle so um die zwanzig Meter Länge, kommen noch genug. Mit einem Leuchtturm auf Nordmarsch würden sie in die Norder-Aue gleiten wie ein Korken in die Flasche.«
»Die Dampfer auch«, ergänzte Hansen belustigt. Es war nicht zu verkennen, dass Broder Bandicks Sympathie den Segelschiffen galt.
»Dampfschiffe! Wenn ich darüber nachdenke, dass Andresen diese lärmenden Dinger, die den stinkenden Schlamm vor dem Bug herschieben, nach Amrum geholt hat, packt mich schon wieder die Wut.«
»Ja«, sagte Hansen zustimmend, »ich kann dich verstehen. Die auf dem Dampfer Mitreisenden waren auch nicht alle nach meinem Geschmack. Aber diese Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten. Aksel Andresen hat vor, mit seinem Wittdün Wyk auszustechen. Auf euch wird noch einiges zukommen.«
»Verflucht soll der Kerl sein«, murrte Bandick.
»Ich habe mir von einem Fachmann ein paar Ratschläge geben lassen, was ihr Amrumer in dieser Situation tun könntet. An der Flut von Gästen vorbeizuschauen, als ob es sie nicht gäbe, wäre ganz falsch.«
»Schieß los«, sagte Bandick gespannt, als sie im Turmzimmer am Tisch saßen. »Wenn ich dem Andresen ein Bein stellen kann, will ich es tun!«
»Darum geht es weniger«, meinte Hansen. »Mein Gewährsmann, der Aksel Andresen gut kennt, gewissermaßen aus beruflichen Gründen, sagt, dass ihr im Wesentlichen zwei Möglichkeiten habt.«
»Die wären?«, fragte Bandick, dessen Augen Jensen folgten.
Dieser hatte die zusammengefaltete Zeitung in die Schlafkoje geworfen und war zu einem einflammigen Kocher an der Wand gegangen, um Teewasser aufzusetzen. Dank der Höhe des Turmzimmers war er nicht gezwungen, sich zu bücken, eine Annehmlichkeit, die auch Hansen zu schätzen wusste.
»Beteiligen«, sagte Hansen. »An Andresens Projekten beteiligen.«
»Wie das?«, fragte Jensen interessiert und drehte sich zu Hansen um.
»Ihr müsst hier an der Südspitze Land aufkaufen, so viel ihr könnt. Überall, wo Andresen planen könnte, Häuser oder andere Objekte zu bauen.«
»Ich verstehe«, murmelte Jensen. »Mein Vater hat an ihn verkauft. Das war wohl verkehrt.«
»Was daraus werden würde, konnte vor ein paar Jahren niemand wissen«, tröstete ihn Hansen. »Heute ist es anders. Wenn ihr Amrumer selber Grundstücke erwerbt, habt ihr die Wahl, den Verkauf zu verweigern, wo es Andresen am meisten schmerzt. Oder ihr verkauft an ihn teuer. Oder baut selber. So habt ihr wenigstens euren Anteil am hereinströmenden Geld.«
»Nichts für mich«, lehnte Bandick entschieden ab. Ein wenig enttäuscht wärmte er sich die Hände an der Tasse, die Jensen ihm hinstellte.
»Aber für mich. Lust hätte ich schon, wenn ich Geld auftreiben könnte«, sagte Jensen und setzte sich zu ihnen. »Glaubst du, eine Bank würde mir Geld leihen, Sönke?«
»Warum nicht? Du hast einen guten Beruf, dein Arbeitsplatz ist gesichert, und dein Leumund ist in Ordnung, vermute ich.«
»Sonst wäre ich nicht Leuchtturmwärter«, sagte Jensen und warf stolz die blonden Haare nach hinten.
Der Himmel hatte sich verdunkelt. Hansen trank seinen Tee aus und dachte allmählich daran, sich zu verabschieden. Es war schon später Nachmittag, und er musste sich noch einen Schlafplatz besorgen. »Könnt ihr mir ein Logierhaus empfehlen? Eines, das nicht Andresen oder der Aktiengesellschaft gehört.«
»Du kannst bei mir übernachten«, bot Bandick sofort an. »Bist herzlich eingeladen. Meine Frau freut sich über Gäste.«
»Ich danke dir«, sagte Hansen ein wenig unglücklich, »es geht nicht. Überall würde ich eine so nette Einladung annehmen, nur auf Amrum nicht. Hier brauche ich die Quittung eines Logierhauses. Es hängt mit Andresen zusammen É«
»Die Kleine Auster«, fiel Jensen ihm ins Wort. »Da habe ich schon übernachtet, wenn ich es nicht nach Hause schaffte É«
Bandick grinste vor sich hin.
»Ein Mann darf sich ein Mal im Jahr betrinken«, verteidigte sich Jensen. »Zu meinen Eltern in Nebel kann ich dann nicht, das möchte ich ihnen nicht antun. In der Kleinen Auster übernachten kaum Badegäste. Die haben bestimmt Platz für dich.«
»Gut, dann ist das abgemacht«, sagte Hansen erleichtert.
»Ich bringe dich hin«, bot Jensen an. »Die Auster liegt etwas versteckt, wie es sich für Austern gehört.«
Hansen nickte und wandte sich an Bandick. »Eines habe ich inzwischen begriffen, nämlich dass die Strömungen in den Auen nicht einfach zu beurteilen sind. Mein Hut, zum Beispiel, zog anscheinend mehr mit dem Wind als mit dem Strom. Wer weiß wohl über Strömungen am besten Bescheid?«
Der Leuchtfeuermeister starrte Hansen an, als versuche der ihn zu verspotten. »Mein Vater. Ich dachte, du hättest darüber mit ihm gesprochen. Die alten Austernfischer sind die besten Kenner dieser Gewässer, die es gibt.«
Sönke Hansen lud Jensen zu einem Bier in einer Kneipe ein, an der sie vorüberkamen, und während er ihm erklärte, wie er mit einer Bank und einer Anleihe umzugehen hätte, wurden es auch mehrere.
Als sie sich schließlich auf den Weg zur Kleinen Auster machten, dämmerte es schon. Hansen bekam ohne Schwierigkeiten einen Schlafplatz.
Dann fiel Jensen eine weitere Frage ein, die sie im Verlauf der nächsten Stunde im überfüllten Schankraum des Logierhauses klärten. In ihm gab es keine Erinnerungsstücke an Seereisen, nur harte Bänke und eng gedrängte Stühle, dafür aber Einheimische, die Friesisch und Platt durcheinander sprachen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 27.06.2005