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Aktiv, attraktiv und aggressiv

Argentinien treibt seine Spielchen - aber auch Deutschland zeigt Stärke

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Nürnberg (WB). Es könnte möglich sein, dass auf zwei Begegnungen in diesem Jahr in aller Kürze auch noch eine dritte folgt. Deutschland gegen Argentinien, das ist längst ein Dauerbrenner, bei dem die Darsteller einander auch immer tief in die Augen schauen. Was habt ihr, was wir nicht haben?

Dabei sieht es so aus, als würden die Südamerikaner ein wenig ihr Spielchen treiben. Dann zeigen sie gerade genug von ihrer überreichlich vorhandenen Klasse, damit sie am Ende den Deutschen nicht zum Sieg gratulieren müssen. Das haben sie zum zweiten Mal hintereinander auf verblüffend ähnliche Weise geschafft. Insgesamt vier Mal gelang ihnen im Februar in Düsseldorf und jetzt in Nürnberg der Ausgleich. Damals hatte sich Hernan Crespo noch bis zur letzten Minute in Geduld geübt, nun hielt Esteban Cambiasso den Zeitpunkt schon eine Viertelstunde vor Abpfiff gekommen, die Erfolgshoffnungen der Klinsmänner wieder auf ein Remis zu reduzieren.
Damit kommen die beiden ehemaligen Weltmeister im Ernstfall natürlich nicht ans Ziel. Sollten sie sich also im Endspiel des Confederation Cups am nächsten Mittwoch in Frankfurt tatsächlich erneut treffen, dann gäbe es so ein 2:2 nicht mehr. Und auch bei der Weltmeisterschaft 2006 müsste bei Bedarf eine Entscheidung fallen.
Bis für die regelmäßigen Spielpartner zum ersten Mal seit dem WM-Finale von 1990 wieder die »Stunde X« ausgerufen werden könnte, dürfen sie sich weiter ihrer gegenseitigen Hochachtung versichern. Die Argentinier genießen dabei gerade in Deutschland einen außerordentlichen Ruf. »Die sind noch stärker geworden als im Februar, am Ball eine Augenweide, beim 1 gegen 1 unglaublich gut«, stellte Michael Ballack fest. Grippegeschwächt in Düsseldorf, vom »Gelbfieber« gefährdet in Nürnberg, konnte der deutsche Kapitän beide Male auf äußere Beobachtungsposition gehen. Was er sah, gefiel ihm. Auch die eigene Mannschaft. »Sie hat wieder gezeigt, dass sie auch ohne mich zurecht kommt.« Bundestrainer Klinsmann hatte auf eine Nominierung verzichtet, um den bereits einmal verwarnten Ballack sicher ins Halbfinale hinüber zu lotsen.
Ohne ihren Mannschaftsführer, ohne Lukas Podolski, zunächst auch ohne Torsten Frings, dafür mit dem dritten Torwart Timo Hildebrand hatten sich die Deutschen wieder von Beginn an vehement ins Zeug gelegt. Sofort machten sie klar, wie Klinsmann den Fußball versteht: Aktiv, attraktiv und aggressiv. »Nach diesem Spiel glaube ich mehr denn je, dass wir die Großen schlagen können«, sagte der Bundestrainer. Die Serie 13 siegloser Auftritte gegen die Weltelite rückte auch Ballack nicht in die Nähe der bösen 13. »Mit diesem 2:2 können wir sehr zufrieden sein, das war Fußball auf höchstem Niveau.«
Bemerkenswert waren die Tore der Argentinier. Sie entsprangen nicht aus vorzüglichen Angriffszügen, sondern einem Freistoß von Riquelme und einem Fernschuss von Cambiasso. Zwei Plan B-Treffer sozusagen. Da konnte auch Hildebrand nicht anders, als vor allem Juan Riquelmes Kunstfertigkeit zu würdigen: »Das ist ein Spezialist, der es einem Torwart schwer macht. Es war ein genialer Schuss, gegen den ich keine Chance hatte.«
Als ihn später auch Cambiasso machtlos zurückließ, war der Schalker Abend im Frankenstadion doch noch geplatzt. Fabian Ernst (kommt zu Schalke) hatte Kevin Kuranyi (wird auch Schalker) das 1:0 aufgelegt, Gerald Asamoah (ist Schalker) nach der Pause das 2:1 erzielt. »Blaue Stunde« in Nürnberg - für eine lange Zeit. Dann gingen Kraft und Konzentration zu Neige. Den Gruppensieg rettete die Mannschaft soeben über die Runden. Als »Belohnung« gibt es das Halbfinale am Samstag gegen Brasilien, weil der Weltmeister nicht auch noch gegen Japan strauchelte.
Diesen nächsten deutschen Auftritt in Nürnberg verpasst Bastian Schweinsteiger. Er wurde vom Slowaken Lubos Michel mit der zweiten Turnierverwarnung für das Halbfinale eliminiert. »Das war mein einziges Foul im Spiel. Ich verstehe den Schiedsrichter nicht«, lästerte der Münchner und fiel eindeutig zur durchweg guten Laune seiner Mitspieler ab. Die sollen zur Linderung des Ärgers beitragen, in dem sie dem gesperrten Kollegen den Weg ins Finale frei schießen.

Artikel vom 23.06.2005