09.07.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Aus dem »Schloss« direkt auf den Thron
Die weltmeisterliche Nobelherberge der deutschen Fußballer für das Heimspiel 2006 im Berliner Grunewald
Die Anschrift: 14193 Berlin, Brahmsstraße 10. Hier steht das »Schlosshotel im Grunewald«. Eine ebenso vornehme wie ruhige Nobelherberge abseits der sonst so hektischen Hauptstadt.
»Es wird mir und meinem Team eine ganz besondere Freude sein, Sie schon bald in unserem Schlosshotel willkommen zu heißen.« Uta Felgner, die General-Direktorin des Hauses, wirbt so in einem edel aufgemachten Prospekt um die Gäste. Und die, die am 2. Juni 2006 dort einziehen werden, sie dürfen sicher sein, dass es einen festlichen Empfang geben wird: Das Schlosshotel mitten im Grunewald ist der »Sitz« der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft im Sommer 2006.
Vom 2. Juni bis zum 9. Juli hat der DFB alle Zimmer und Suiten geblockt. Eine Buchung mit Weitblick: ein Hauptquartier in der Hauptstadt. Denn hier, in Berlin, wird am 9. Juli 2006 um 20.45 Uhr das große Endspiel angepfiffen. Im Olympia-Stadion, der Endstation Sehnsucht.
Wenn sich die schmiedeeisernen Gitter des Hotel-Tores öffnen, dann rollt der Mannschaftsbus in knapp einer Viertelstunde die zehn Kilometer bis zur Arena, in der der finale Höhepunkt steigen wird. Die Deutschen kennen also schon die Strecke, sie dürfen vorher auf dem Rasen nur nicht vom Weg abkommen.
Denn das ist der große Fußball-Traum 2006: Aus dem »Schloss« im Grunewald auf den weltmeisterlichen Thron. Berlin, in genau einem Jahr für einen Abend der sportliche Mittelpunkt der Erde. Deshalb hat Bundestrainer Jürgen Klinsmann gleich nach seinem Amtsantritt auch die zunächst vorgesehene Unterkunft in Leverkusen gestrichen. Nichts gegen Bayer und die Farbenstadt, aber Berlin ist doch ein bisschen »bunter«.
Wie das Schlosshotel. Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld hat das alte Haus von 1991 bis 1994 originalgetreu restauriert und eingerichtet. Natürlich nur vom Feinsten: 5000 Blätter Gold, Seidentapeten aus Lyon, dunkle Eiche und helle Farben, schwere Kronleuchter und leichte Stoffe.
Prunkstück ist die große Halle im Renaissance-Stil mit der Löwentreppe. Das Restaurant heißt »Vivaldi«, die Kaminbar »Le Tire Bouchon«. Dort könnten sich die Kicker am späten Abend des 9. Juli 2006 nach ihrer WM-Sternstunde ja noch einen Schluck genehmigen.
Selbstverständlich hat auch das Hotel fünf Sterne. Und die Eigenwerbung liest sich so: »Luxus pur. Ein Hauch von Versailles. Ein kleines, exclusives Haus, das sich durch Eleganz und Perfektion in der Ausstattung und im Service auszeichnet. Charme einer vergangenen Epoche, gepaart mit allem Komfort der heutigen Zeit«.
Eine 500 Quadratmeter große Wellness-Oase mit Schwimmbad und Sauna im großen Schloss-Garten gehören zu dem Angebot, das Klinsmann überzeugte: »Hier buchen wir.«
Der Bundestrainer soll sich allerdings nicht wundern, wenn er die Eingangshalle betritt. Denn: Der Kaiser ist schon da. Allerdings nicht der stets allgegenwärtige Franz Beckenbauer, sondern ein richtiger Monarch. Wilhelm II., Deutschlands letzter Kaiser. Der hängt in Öl an der Wand. Eine gemalte Erinnerung an die Eröffnung des Schlosses, das einst der Jurist Walter von Pannitz bauen ließ, der persönliche Anwalt des Herrschers. Wilhelm II. signierte natürlich als Erster das Gästebuch.
Es folgen weitere »Autogramme«, die heute ebenfalls noch sehr wertvoll sein dürften. Hier logierte Bundeskanzler Konrad Adenauer, hier feierte Romy Schneider ihre Hochzeit mit Daniel Biasini.
Hoch-Zeiten hat das Haus oft erlebt. Und ein weiterer Höhepunkt wird mit Sicherheit der Aufenthalt der WM-Auswahl.
Was für eine Werbung für das Schlosshotel. Sie dürfen schon vorher ankündigen: Hier wohnt demnächst die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Und sie können vielleicht nachher sagen: Hier wohnte der Fußball-Weltmeister 2006.
Vor 31 Jahren, als die Deutschen erstmals die Endrunde ausrichteten und den World Cup holten, da sahen die Unterkünfte der Kicker noch ganz anders aus.
Der damalige Bundestrainer Helmut Schön bevorzugte Sportschulen, das waren bessere Jugendherbergen. Wie das schleswig-holsteinische Malente und das westfälische Kaiserau, im Sommer 1974 die DFB-Quartiere.
Und Franz Beckenbauer erinnert sich heute noch mit Grausen an den Zwischenaufenthalt in Berlin, wo das erste WM-Vorrundenspiel gegen Chile (1:0) ausgetragen wurde. Da ging's, »schöner wohnen« dank Helmut Schön, wieder in eine Sportschule am Wannsee. Des Kaisers Rückblick: »Wir schliefen mit fünf Leuten in einer Bude, heute ist das unvorstellbar.«
Und ob. Heute gastieren selbst zweitklassige Fußballer vor ihren Auswärtsspielen in vornehmen Häusern. Für die Männer, die 2006 die Weltmeisterschaft gewinnen sollen, ist das Beste gerade gut.
Zum Beipiel das Haus in 14193 Berlin, Brahmsstraße 10. Mitten im Grunewald. Da zwitschern noch die Vögel. Aber das ist nicht »j.w.d.« - janz weit draußen - wie der Berliner die Außenbezirke seiner Stadt gern abwertet. Nein, das ist ziemlich direkt dran. Wie kurz war noch einmal der Weg vom Schlosshotel ins Olympia-Stadion, den Endspiel-Schauplatz am 9. Juli 2006?
Ach ja. Nur zehn Kilometer.
Klaus Lükewille

Artikel vom 09.07.2005