22.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Den Deutschen
ist die Sprache
nicht egal

Ratgeber verkaufen sich glänzend

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Wenn ein Sprachratgeber sogar im Supermarkt angeboten wird, hat es der Autor geschafft. »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod« von dem »Spiegel«-Redakteur Bastian Sick ist seit August 2004 eine Million Mal verkauft worden.
Bastian Sick: »Habe gerade erst angefangen.«
Eike Christian Hirsch weckt das Sprachbewusstsein.

»Ich habe nicht damit gerechnet, das erfolgreichste ÝSpiegelÜ-Buch aller Zeiten zu schreiben«, sagte Sick gestern dieser Zeitung. Am 24. August werde der Nachfolgeband bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erscheinen, ergänzt durch ein ABC zum Nachschlagen, Antworten auf Leserfragen und ein Quiz. Sick: »Der Verlag plant eine längere Reihe, sozusagen den ÝSick in 12 BändenÜ, außerdem gibt es Ideen für ein Spiel und eine Fernsehserie.« Mit der Kolumne bei »Spiegel Online« fing es an, inzwischen macht Sick Lesungen vor bis zu 1000 Sprachinteressierten. »Früher nannte man das Publikum Bildungsbürgertum - die Zuhörer, egal ob Schüler oder Senior, sind sehr aufgeschlossen«, erzählte Sick.
In seinen bereits erschienenen Kolumnen hat der Autor darüber aufgeklärt, dass es »gemäß dem Gesetz« (Dativ), aber »angesichts des dichten Verkehrs« (Genitiv) heißt, und dass die Formulierung »Sinn machen« Blödsinn ist. Denn im Gegensatz zu Schuhen wird Sinn nicht produziert, sondern ergibt sich. Außerdem wissen die Leser, dass es »das Ariel« heißt, weil Waschmittel sächlich ist. Dagegen ist Bifi weiblich, denn man soll an die Salami denken. Sick wettert gegen die inflationäre Verwendung des Bindestrichs (»Magen-Schmerzen«), gegen alberne Superlative (»totalster Wahnsinn«), gegen falschen Plural (Visas), überflüssige Apostrophe (CD's) oder verhängnisvolle Falschübersetzungen (body bag bedeute eben nicht Rucksack, sondern Leichensack). »Die deutsche Sprache kennt zwar nur vier Fälle, dafür aber über tausend Zweifelsfälle«, sagt Bastian Sick und wirft Fernsehsendern vor, mit »Nachmittagskrawall-Talkshows« oder Serien wie »Big Brother« sich dem »Sprachjargon der Unterschichten anzubiedern«.
Sprachkolumnen sind nicht neu. Bereits seit 30 Jahren schärft Eike Christian Hirsch aus Hannover das Bewusstsein für den Umgang mit Wörtern und Formulierungen. Nach den Kolumnen im NDR und der Zeitschrift »Stern« sowie den Büchern »Deutsch für Besserwisser« und »Kopfsalat« liegt seit Dezember 2004 »Gnadenlos gut: Ausflüge in das neue Deutsch« vor. Wegen starker Nachfrage hat der Verlag C.H. Beck in München bereits die zweite Auflage an die Buchhändler geschickt. »Das Sprachbewusstsein lässt in der Bevölkerung nach, aber es gibt eine sehr lebhafte Minderheit, die die Fahne hochhält«, sagte Hirsch gestern dieser Zeitung. Er möge keine Formulierungen wie das abwertende »Zwerge« für Kinder oder das prahlerisch-neumodische »Mein Flieger geht morgen um acht«. In amüsanten Glossen geißelt Hirsch die epidemische Ausbreitung der »emotionalen Füllwörter« doch, ganz und sehr, das Nachstellen von Adjektiven (»Sonne satt«, »Fußball brutal«), alberne Steigerungen (»gnadenlos gut«), verbale Kraftmeierei (»Kostenexplosion«) und Sprachschrott wie »Mindereinnahme«.
Augenzwinkernd entlarvt er Kuriositäten wie die, dass niemand zur Windjacke eine Windhose tragen kann, dass schnelle Pferde gut im Rennen »liegen« und es zwar Königreich, aber gleichzeitig Königskrone heißt. Hirsch liebt das Wortspiel: Bei dem Versuch, den Unterschied zwischen Schriftsteller und Schriftsetzer zu erklären, »kommt der Verleger in Druck und der Drucker in Verlegenheit«.
Unterhaltsam-essayistische Bücher über Sprache werden gekauft, weiß der Leiter der Sprachberatung der Gesellschaft für Deutsche Sprache in Wiesbaden, Gerhard Müller. Trotz Verwirrung durch die Rechtschreibreform sei das Interesse an Sprache »nicht gelöscht«. Die Leute »wollen es richtig machen«, verwies Müller auf knapp 10 000 Anfragen bei der Sprachberatung im Jahr.

Artikel vom 22.06.2005