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Leitartikel
Die Renten sinken

Das Klagelied wird zum Evergreen


Von Reinhard Brockmann
»Die langfristigen Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung sind - wenn die Altersgrenze noch angehoben wird - nicht nur aus meiner Sicht weitgehend gelöst.«
Prof. Bert Rürup
Noch im Frühjahr hat der Chefberater der Regierung Schröder bekräftigt, dass es ohne die Rente mit 67 nicht geht. Die von Rot-Grün eingesetzte Rürup-Kommission hatte zuvor mehrfach unisono mit ihrem bürgerlichen Gegenstück, der Herzog-Kommission, auf die Notwendigkeit längerer Einzahlungszeiträume hingewiesen. Und zwar seit 2003.
Deshalb ist die erneut aufflammende Debatte über die »Erregungszahl 67« nicht zu verstehen. Die Aufregung war allenfalls ein Fall für Leute mit superkurzem Gedächtnis. Dass damit dennoch Politik zu machen ist, muss erschrecken.
Die jüngsten Diskussionen der Fachleute bestätigen nur, dass das Rürup-Modell, wonach von 2010 an Jahr für Jahr der Renteneintritt um einen Monat steigt, immer wahrscheinlicher wird.
Jeder kann sich heute schon ausrechnen, was auf ihn zukommt. So er es erlebt, darf der Autor (Jahrgang 1956) im Jahre 2021 mit 65 Jahren noch elf Monate länger arbeiten. Andere, die härter zufassen müssen als ein Schreiber, werden auch 2021 kaum bis zum 65. Geburtstag etwa auf dem Bau oder am Krankenbett ihren Mann/ihre Frau stehen. Will sagen: Selbst das Heraufsetzen des Rentenalters auf 67 (warum nicht gleich auf 70 oder 75?) ist keine Patentlösung.
Die Klagen der Ruheständler, die zum 1. Juli erneut weniger Rente bekommen, sind berechtigt. Auch die Pensionäre werden nicht müde, auf steigende Kosten hinzuweisen. Beide Gruppen sollte sich dennoch nicht gegenseitig Vor- und Nachteile zu- bzw. absprechen. Es hilft nichts. Die demographische Enteignung moralisch berechtigter Ansprüche wird noch 25 Jahre weitergehen - und das Klagelied zum Evergreen.
In nüchternen Zahlen: Wer alle Kürzungen bei der gesetzlichen Rente von 1990 bis 2030 hochrechnet, kommt auf einen Verlust von gut 30 Prozent.
Politiker beherrschen die emotionslose Debatte am aller wenigsten. Beispiel: Die de-facto-Kürzung der Einkommen und Renten zum 1. Juli durch die Übernahme von Arbeitgeberanteilen Ulla Schmidt und Horst Seehofer haben sie 2003 gemeinsam verabredet. Weil aber der im November 2004 vorgelegte Gesetzestext zwar die Belastung, nicht aber die Begründung - Zahnversicherung und Krankengeld - nennt, lässt sich angesichts der kommenden Beschwerden trefflich streiten. Beide Seiten sollten besser schweigen.
Und schon ist der nächste Aufreger unterwegs: Der Sozialverband Deutschland schlägt vor, Beamte, Selbständige und Abgeordnete in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen zu lassen. Wir sagen voraus: Außer ergebnis- und endlosen Systemvergleichen wird nichts dabei herauskommen, der Staat hat gar nicht das Geld für Rentenbeiträge, wie sie jeder Betrieb hierzulande zahlen muss.

Artikel vom 22.06.2005