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»Das Klavierspielen ist meine Medizin«

Der Wertheraner Internist Dr. Siegfried Zierenberg feiert heute seinen 90. Geburtstag

Werther (dh). »Ein Foto am Klavier? Sehr gerne«, sagt Dr. Siegfried Zierenberg. Kaum sitzt der ältere Herr am Bechstein-Piano, lässt er auch auch schon seine Finger über die Tasten tanzen. Robert Schumanns Klavier-Solo »Arabeske« frei und ohne Noten gespielt. Kaum zu glauben, dass dieser Mann heute seinen 90. Geburstag feiert.

»Klavierspielen ist meine Medizin«, sagt Dr. Siegfried Zierenberg. Die Musik hat den langjährigen Chefarzt der Inneren Abteilung des Wertheraner Krankenhauses jung gehalten. Seit 80 Jahren ist seine Vorliebe für das Spiel mit den schwarzen und weißen Tasten ungebrochen. »Als Zehnjähriger hörte ich unseren Nachbarsjungen spielen - da stand für mich fest: Ich will Klavierunterricht haben«, sagt Zierenberg.
Siegfried Zierenberg wird am 22. Juni 1915 in Meinsen bei Bückeburg als dritter Sohn eines Pastors geboren, dort verbringt er »eine glückliche Jugend«, wie er selbst sagt. Sein Abitur baut er 1935 am Evangelisch Stiftischen Gymnasium in Gütersloh - eine strenge Schule. »Aber die starke Hand führte zum Erfolg«, sagt der damalige »Primus Omnium« heute.
Den Entschluss, Mediziner zu werden, fasst der Abiturient beim Wehrdienst. »Pastor? Nein, ich kann nicht Dinge predigen, von denen ich nicht überzeugt bin«, schüttelt er mit dem Kopf.
Seine Studentenzeit verbringt Siegfried Zierenberg an den Universitäten in Freiburg, Leipzig und Göttingen. Nach dem Staatsexamen, Weihnachten 1941, wird er eingezogen. »Heiligabend wurde ich aus meiner Familie gerissen, musste mich innerhalb von 48 Stunden in Danzig melden«, erinnert sich Zierenberg. Die Verlobung mit seiner heutigen Ehefrau Ursula, einer Gütersloher Zahnarzt-Tochter, findet ohne ihn statt.
An der Ostfront ist Zierenberg als Bataillonsarzt im Einsatz, wird im Schützengraben zweimal verwundet und einmal verschüttet. Als die Deutschen kapitulieren, wird er gefangen genommen. Auf dreieinhalb Jahre Krieg folgen enso viele Jahre Arbeitslager. Über seine Zeit als Soldat und Gefangener schreibt der ehemalige Offizier 1984 das spannende und bewegende Buch »Sieben Jahre Russland« - reichhaltig illustriert mit eigenen Fotografien von der Front. Leider wird es nie für eine breitere Öffentlichkeit publiziert.
1948 kehrt Dr. Siegfried Zierenberg zurück nach Gütersloh, bereits 1942 hat er seine Jugendliebe Ursula geheiratet. Im Januar 1949 beginnt Zierenberg im Städtischen Klinikum Gütersloh als Assistenzarzt, nach einem »Zwischenspiel« in Brackwede kommt er 1957 nach Werther. »Zunächst wohnte ich bei Familie Oberbiermann, weil es dort in der Rosenstraße ein Telefon gab und ich im Notfall informiert werden konnte«, erzählt er. Kurze Zeit später baut er für seine Familie an der Haller Straße ein Haus. Hier lebt der Internist noch heute.
25 Jahre prägt Dr. Siegfried Zierenberg das St. Jacobistift, baut die Schwesterhelferinnenschule mit auf, kämpft gegen die Fusion mit dem Krankenhaus Halle. In einer Serie hat das WESTFALEN-BLATT Anfang 2005 seine Erinnerungen veröffentlicht.
Doch nicht nur als Arzt im Jacobistift macht sich Dr. Siegfried Zierenberg in Werther einen Namen: Er gründet Anfang der 60er Jahre den Tennis-Club Blau-Weiß Werther, tritt regelmäßig mit einem Kammermusik-Ensemble auf und hält das Leben in seiner Heimat im Film fest. So wird er auch am 19. Juli um 15 Uhr im Haus Tiefenstraße den Streifen »Aus meinem Archiv« zeigen.
Noch heute lernt Dr. Zierenberg Klavierstücke auswendig, übt jeden Tag. Hinzu kommen die täglichen Spaziergänge zu seiner Frau Ursula, die inzwischen St. Jacobistift lebt. Denn sein Auto hat Zierenberg nach einer Erkrankung zu Jahresbeginn verkauft. »Das wollten meine Kinder so«, schmunzelt er. Jetzt ist ein Langenscheidt-Lexikon »Polnisch-Deutsch, Deutsch-Polnisch« sein ständiger Begleiter, denn eine polnische Haushälterin ist täglich für das Geburtstagskind da. Doch das Buch braucht Dr. Zierenberg, der Russisch spricht, nur selten.

Artikel vom 22.06.2005