21.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Krankheit auf Urlaub anrechnen

Handwerks-Präsident stößt mit seinem Vorstoß auf breiten Widerstand

Von Dirk Schröder
Bielefeld/München (WB). Für Wirbel hat Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Handwerks, mit seinem Vorstoß gesorgt, Krankheitstage auf den Urlaubsanspruch anzurechnen. Auch im Handwerk selbst stieß der Vorschlag auf Widerstand.

ZDH-Präsident Kentzler hatte im Magazin »Focus« erklärt, Krankheitstage der Arbeitnehmer mit deren Urlaubsanspruch zu verrechnen, sei »ein absolutes Muss«. Alternativ könne auch eine Anrechnung auf Arbeitszeitkonten in Frage kommen. Urlaub müsse erwirtschaftet werden. An eine Anrechnung im Verhältnis eins zu eins sei aber nicht gedacht.
Lena Strothmann, Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe, hält von diesen Plänen überhaupt nichts. »Arbeit ist Arbeit, und Urlaub ist Urlaub«, erklärte die CDU-Bundestagsabgeordnete gestern im Gespräch mit dieser Zeitung. Kentzlers Vorschlag sei nicht der richtige Ansatz, meinte sie. Über die Streichung von Sonderurlauben für Hochzeit, Beerdigungen oder Umzüge könne man reden, doch sieht sie bei der Umsetzung des Kentzler-Vorschlags die Gefahr, dass kranke Menschen arbeiten gehen.
Lena Strothmann erinnerte daran, dass der Krankenstand im Handwerk rapide zurückgegangen sei. Hier liege also nicht das Problem. Grundsätzlich hält sie es aber für notwendig, dass wieder mehr gearbeitet werde für das gleiche Geld, weil dies die hohen Arbeitskosten senke und die Nachfrage stärke.
Zuspruch erhielt Kentzler jedoch vom Vorsitzenden des nordrhein-westfälischen Handwerkstags, Wolfgang Schulhoff. »Wer bei fünf Millionen Arbeitslosen, bedingt zum Teil durch zu hohe Arbeitskosten, kein Verständnis für die Streichung von bis zu drei Urlaubstagen hat, der verspielt die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.« Deutschland habe so viel Urlaub wie kein anderes Land in Europa. Schulhoff: »Wir arbeiten pro Jahr 400 Stunden weniger als die Japaner, 300 weniger als die Amerikaner und 100 weniger als die Schweden.« Das müsse sich ändern, damit Deutschland international konkurrenzfähig bleibe.
Kritik erntete Kentzler aus allen politischen Lagern und von Gewerkschaftsseite. Dieser Vorstoß werde »mit Sicherheit nicht aufgegriffen«, sagte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Auch angesichts des derzeit niedrigen Krankenstandes dürfe das Engagement der Menschen nicht gefährdet werden. Der künftige NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) wies ebenfalls auf den niedrigsten Krankenstand seit 30 Jahren hin. Dies zeige, dass die Arbeitnehmer nicht einfach krankfeierten. Deshalb erübrige sich die von Kentzler angestoßene Debatte.
Bundesfinanzminister Hans Eichel meinte, »irgendwo ist Schluss mit solchem Sozialabbau«. Und die grüne Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke erklärte zu dem Vorstoß: »Schwachsinn«.
Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, sprach von einer abstrusen Idee zur Arbeitszeitverlängerung. Der Jahresurlaub sei zur Wiederherstellung der Arbeitskraft und nicht zum Auskurieren von Krankheiten gedacht.

Artikel vom 21.06.2005