20.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Die deutsche EU-Politik
steht auf dem Prüfstand

Nach Fiasko in Brüssel rüsten die Wahlkämpfer in Berlin

Von Frank Rafalski
Berlin (dpa). Die Europapolitik soll im Bundestagswahlkampf eine große Rolle spielen. Nach dem doppelten Gipfel- Fiasko von Brüssel wird das Thema noch dringlicher.

Der Gemeinschaft der 25 EU-Staaten ist der innere Kompass abhanden gekommen. Das gilt auch für die deutsche Europapolitik. Die alten Bündnisse - vor allem das Tandem mit Frankreich - zeigen keine Wirkung mehr. Auch die bisherige Berliner EU-Politik - immer stärkere Integration und Erweiterung - ist kein Erfolgsrezept mehr. Trotz großer Kompromissbereitschaft bei den EU-Zahlungen spielten Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) beim Tauziehen auf dem Brüsseler Gipfel meist nur die Nebenrolle.
So verließ ein ratloser, menschlich sichtlich enttäuschter Kanzler das Brüsseler Gipfel-Feld. Auch langjährige Kenner von Schröder hatten den deutschen Regierungschef bei einer internationalen Konferenz noch nie emotional so stark getroffen gesehen. Er hatte zusehen müssen, wie vor allem zwischen dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und dem britischen Premier Tony Blair der Schwarze Peter für das Scheitern des Gipfels hin und her geschoben wurde. Den letzten dramatischen Rettungsversuch der osteuropäischen EU-Neulinge fand der Kanzler nur noch »beschämend«. Die »Neuen« hatten gar ihren Verzicht auf Zahlungen aus der EU-Strukturhilfe angeboten, um die Finanzplanung bis 2013 in letzter Minute noch zu retten. Hier sei ein »Stück Substanz Europas« zerstört worden, befand Schröder.
Für ihn ist dieses doppelte Gipfel-Debakel ganz besonders bitter. Der Kanzler war einer der Hauptinitiatoren der EU-Verfassung, die nun im Koma liegt. Und mit dem Scheitern der Haushaltsverhandlungen sind der Gemeinschaft auch die zentralen Koordinaten für die Politik der kommenden Jahre abhanden gekommen.
»Ich bin nicht bereit, dass irgendjemand mir sagt, dass es nur eine Vorstellung von Europa gibt ... Europa gehört nicht nur einem einzelnen, Europa gehört uns allen«, dozierte Tony Blair in der Gipfel-Nacht. Chirac konstatierte zeitgleich im Nebenraum: »Wir sind in einem erbärmlichen Zustand.« Zwischen diesen beiden Akteuren wird es auf lange Sicht kaum mehr Brücken geben, waren sich alle einig.

Artikel vom 20.06.2005