20.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Parreira muss
unbedingt die
»Hexa« holen

Brasiliens Trainer steht unter Druck

Hannover (dpa). Nur die »Hexa«, der sechste WM-Gewinn, zählt für das fußballverrückte Volk der Brasilianer. Carlos Alberto Parreira soll im nächsten Jahr für den erneuten Triumph sorgen und der Druck auf ihn wächst praktisch täglich.

»Für mich ist es noch schwieriger geworden als Nationaltrainer, da ich 1994 bereits den Titel mit der Mannschaft gewonnen habe und sie 2002 ebenfalls erfolgreich war«, sagte er vor seiner 100. Partie als Verantwortlicher der »Selecao« gestern Abend beim Confederations Cup in Hannover gegen Mexiko.
Als Brasilien am 21. Juni 1970 - also vor fast genau 35 Jahren - in Mexiko Weltmeister wurde, war Parreira bereits Assistenzcoach. 24 Jahre später beendete er die lange Durststrecke und führte die Mannschaft um Kapitän Carlos Dunga wieder auf den WM-Thron. »Das war pure Erleichterung«, erzählt er heute noch gerne, »als sei eine tonnenschwere Last von meinen Schultern gefallen.« 1983 hatte er hingegen erfahren müssen, dass er auf einem der exponiertesten Schleudersitze der Welt Platz genommen hatte: Nach nur acht Monaten wurde er als Nationalcoach entlassen. Im Januar 2003 übernahm Parreira als Nachfolger von Luiz Felipe Scolari zum dritten Mal den Posten.
»Wahrscheinlich wird man den WM-Triumph vor zehn Jahren als größte Leistung meines Lebens in Erinnerung behalten. Nun gut, dann soll es eben so sein«, sagte Parreira in einem Interview mit dem »FIFA Magazine« gelassen und fügte hinzu: »Ich habe meine Ziele erreicht.« Nur deshalb kann er wohl seinen Job so unbeirrbar durchziehen in einem Land, in dem sich seiner Einschätzung nach etwa zehn Millionen für einen Trainer halten.
Bereits 1968 war Parreira nach Deutschland und England gereist, »um den europäischen Kraftfußball an der Quelle zu studieren«. Dort lernte er in der Sportschule Barsinghausen auch Franz Beckenbauer kennen. Bei Pressekonferenzen dieser Tage geschieht es regelmäßig, dass Parreira freundlich den Dolmetscher verbessert oder seine Statements selbst ins Englische übersetzt. Der 62-Jährige ist viel herumgekommen - und gilt als Mann von Welt.
Der Vater zweier erwachsener Töchter spielte zwar nie bei einem großen Club, arbeitete aber als Nationalcoach von Ghana, Kuwait, Saudi Arabien und der Vereinigten Arabischen Emirate. Vor allem die Petro-Dollars haben Parreira, der in Rios Stadtteil Barra da Tijuca wohnt, zu einem vermögenden Mann gemacht.
Der Hobby-Maler und Liebhaber von Impressionisten hat mehr als 38 Jahre am schillernden Bild seines Berufsleben gearbeitet. Parreira betreute unter anderem den FC Valencia, Fenerbahce Istanbul und die New York Metrostars - sowie fast alle Traditionsclubs in seiner Heimat. Seine fein gezeichneten Gesichtszüge täuschen darüber hinweg, dass er eigentlich ein harter Hund ist: ein Fitness-Fanatiker, ein im Detail versessener Taktiker, ein akribischer Arbeiter und Analytiker, der auf seinem Laptop Fotos von unzähligen Spielszenen hat. Aber er lässt seinen Künstlern auf dem Spielfeld auch viele Freiheiten, denn, erklärte er einmal, »ohne Ball ist Brasilien nicht besser als Island«.
Sein Vertrag als Nationalcoach läuft bis nach der Weltmeisterschaft in Deutschland. Parreira: »Doch wenn man drei Spiele verliert, weiß man nie...«

Artikel vom 20.06.2005