21.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Gesucht: die letzte Gewissheit

Immer noch erfahren Angehörige vom Schicksal der Väter und Großväter

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Es geht längst nicht mehr um den im Krieg gefallenen Ehemann oder Vater, sondern immer öfter um den Opa: Auch 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges suchen Angehörige noch nach der letzten Gewissheit.

In der zentralen Gräberkartei beim Volksbund Deutsche Kriegesgräberfürsorge e.V. in Kassel sind exakt 4 266 278 Grab-, oder Todes-/Vermisstenmeldungen erfasst - und jedes Jahr werden es mehr. Bis 2010 werden weitere 1,8 Millionen Datensätze hinzu kommen. Durch die Öffnung der Archive in Osteuropa erfährt manche Familie erst jetzt von der letzten Ruhestätte ihres Angehörigen.
Neben zahlreichen Umbettungen wurden allein im vergangenen Jahr 33 689 Kriegstote erstmals identifiziert. In diesen Fällen wird in Kassel versucht, die Angehörigen ausfindig zu machen.
Längst hilft das Internet den Angehörigen bei der umgekehrten Suche. Unter www.volksbund.de sind 3,9 Millionen Verlustmeldungen abrufbar. Aber auch auf herkömmliche Weise wurden allein 2004 knapp 30 000 schriftliche Anfragen beantwortet. 16 000 nutzen die Telefonnummer 01805 7009 99.
Die wählte auch Oskar Linneweber aus Bielefeld. Sein Vater Oskar, geboren 1908 in Hillegossen, war bei Leningrad gefallen. Deutsche Soldaten hatten ihn bestattet. Ein anderer Bielefelder machte noch im Krieg vor dem Zurückrollen der Front ein Foto von dem kleinen Grab mit Birkenkreuz. Danach wurden Gräber deutscher Soldaten von den Russen massenhaft eingeebnet. Einmal hieß es, auf dem Soldatengrab sei ein Campingplatz entstanden.
Und die erste Meldung, die der Sohn vor geraumer Zeit aus Kassel erhielt, schien die Befürchtungen zu bestätigen. Im Bereich des einstigen Soldatenfriedhofs Mga seien deutsche Gräber nicht mehr zu lokalisieren, hieß es in der Volksbundmitteilung. Im Brief steckte etwas Kartenmaterial, aber auch ein Hinweis auf die Anlage eines neuen Sammelfriedhofs in Sologubowka, 50 Kilometer südlich von St. Petersburg.
Vier Jahre später, am 5. Februar 2003, erhielt Oskar Linneweber erneut Post vom Volksbund. Sterbliche Überreste des Vaters seien gefunden und nach Sologubowka umgebettet worden, hieß es jetzt. Nach sechs Jahrzehnten endlich Gewissheit!
Heute hat der Volksbund 1,3 Millionen Mitglieder und Spender. Sie tragen 90 Prozent aller Kosten. Zuschüsse von Bund und Land decken lediglich zehn Prozent der Aufwendungen. Deshalb sind die jährlichen Haussammlungen für den Volksbund von größter Bedeutung.
l In Bielefeld und den Kreisen Gütersloh und Lippe findet die nächste Sammlung vom 26. Juni bis zum 9. Juli statt. Im Hochstift sowie in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke werden Soldaten der Bundeswehr vom 30. Oktober an mit der Sammelbüchse von Haus zu Haus gehen.
www.volksbund.de

Artikel vom 21.06.2005