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Zwei Kabarettisten im Bahn-Wahn

Lokomotiven und zugkräftige Künstler am ersten Juli-Wochenende in Ostwestfalen

Von Dietmar Kemper
Altenbeken/Bielefeld (WB). »Ihr in Altenbeken lebt in einer 1:1-Modellbahnanlage«, sagt der Kabarettist Urban Priol. Auf der Open-Air-Bühne an der Museumslok gibt er sich am Samstag, 2. Juli, um 20 Uhr dem »BahnWahn« hin. »Auf Kultur legen wir bei Vivat Viadukt 2005 großen Wert«, sagte Carsten Hormes am Freitag.

Während die Gemeindeverwaltung die Fortsetzung des Viaduktfestes aus dem Sommer 2003 mit 100 000 Besuchern organisiert, ist Hormes mit seinem KulturBüro-OWL zuständig für Musik und Wort jenseits vom Fauchen und Zischen historischer Lokomotiven. Und so wird der Große Eisenbahnaktionstag, der Höhepunkt am 3. Juli mit Sternfahrten berühmter Züge, Markt und Ausstellungen, durch Konzerte und Kabarett an allen drei Tagen des Festes eingerahmt. »Das Thema Eisenbahn fasziniert alle Altersgruppen und deshalb ist es ein gutes Vehikel, um für Kultur zu werben«, erläutert Hormes.
Dass Kabarett nicht nur politisch sein muss, will die Revue »BahnWahn« beweisen. Außer Urban Priol aus Obernburg, der 44 Märklin-Lokomotiven im Keller hat, macht sich Jochen Malmsheimer seine Gedanken und erzählt Geschichten aus dem Mitropa-Speisewagen. Die Acappella-Formation »füenf« aus Stuttgart zeichnet ebenfalls eine enge Verbindung zum Oberthema aus, denn die Schwaben besingen Haltestellen. Welche Musik in der Vergangenheit Reisende besonders gern im Abteil hörten, weiß die Band Marius Jung & the Germans. Sie steuert »Zugklassiker« aus Musik- und Eisenbahngeschichte zum »BahnWahn« am 2. Juli bei.
Hormes rechnet fest mit mehreren tausend Besuchern, die zur Bühne mit der Dampflok strömen, die die Geschichte der Eisenbahnergemeinde Altenbeken verkörpert und gleichzeitig als Stichwortgeber für das Kulturprogramm dient. Musik, die in die Räder, pardon Beine geht, machen die süddeutschen Polka-Könige HISS. Sie treten bereits am Freitag, 1. Juli, gegen 21 Uhr auf. »Mit Volksmusik wie im Musikantenstadl haben HISS nichts gemein, sie spielen Polka, Pop und Rock und singen dazu freche deutsche Texte«, erläutert Hormes. Um im Bild zu bleiben: HISS ist modern, so modern wie der ICE. Das Finale des kulturellen Rahmenprogramms ist am Sonntag, 3. Juli, um 20 Uhr dann heimischen Orchestern vorbehalten.
Im vergangenen Jahr begeisterte der Film »Das Wunder von Bern« das Kinopublikum. Der Weltmeisterzug aus dem Streifen von Sönke Wortmann läuft beim Eisenbahnaktionstag (3. Juli) ebenfalls im Altenbekener Bahnhof ein. Im Film diente die VTO8 als historisches Requisit für die Erinnerung an den sensationellen Gewinn der Fußball-WM 1954, in Altenbeken ist sie ein Teil im Puzzle aus fünf Epochen Bahngeschichte.
Die Historie wird am ersten Juli-Wochenende außer in Altenbeken in Bielefeld erzählt. Der Ringlokschuppen in der Leineweberstadt ist 100 Jahre alt, und der runde Geburtstag liefert den Anlass für ein Volksfest, bei dem am 3. Juli Bilder aus der Historie der Dampflokzeit gezeigt werden. Das ist aber längst nicht alles: Zwischen 10 und 18 Uhr dürfen sich die Besucher drinnen und draußen unter anderem auf Live-Musik mit den Original Contemporaries Olaf Jäger und David Herzel freuen, die mitreißenden Swing und Boogie Woogie spielen. Rundfahrten der historischen Wagengarnitur des Vereins Eisenbahntradition sowie die Börse mit Antiquitäten und Kuriositäten sollen Nostalgiker anziehen. Der Ringlokschuppen wird seit knapp zwei Jahren als Konzerthalle genutzt, in ihm sind Eisenbahngeschichte und Kultur miteinander verschmolzen. »Musiker fragen nach der Geschichte des Gebäudes und kommen gerne wieder, weil der Ringlokschuppen zu den schönsten Auftrittsorten auf ihrer Tour zählt«, berichtete DJ Nick.
Bereits am Samstag, 2. Juli, nehmen die Bielefelder Eisenbahnfreunde e.V. von 13 Uhr an die renovierte Drehscheibe feierlich wieder in Betrieb. Noch vor drei Jahren befand sich der Ringlokschuppen in einem erbärmlichen Zustand. Das Dach war eingestürzt, nur noch die Außenmauern standen. »Es war nur noch eine Ruine, und das Gelände war völlig überwuchert«, erinnert sich DJ Nick. Nach der Renovierung wurde aus dem Schandfleck ein denkmalgeschütztes Veranstaltungszentrum. Der Eintritt zu den Volksfesten in Altenbeken und Bielefeld ist kostenlos. Das erste Juli-Wochenende in Ostwestfalen - mehr Eisenbahn geht nicht.

Artikel vom 18.06.2005