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Diese Mutter hat ihr
Kind noch nie gesehen

Sie war 19 Jahre, als sie das Baby zur Adoption freigab

Von Christian Althoff
Herford (WB). Vor 26 Jahren hat Andrea Schweitzer (45) ein Mädchen zur Welt gebracht. Gesehen hat sie ihre Tochter bis heute nicht - weil sie sie unmittelbar nach der Geburt zur Adoption freigegeben hatte. Doch die Gedanken an ihr erstes Kind lassen die Herforderin nicht ruhen: »Ich möchte sicher sein, dass es meiner Tochter gut geht. Das will doch jede Mutter, oder?«
Vor 26 Jahren brachte Andrea Eickhoff (heute Schweitzer) in Bünde ein Mädchen zur Welt.

1979 hieß Andrea Schweitzer noch Eickhoff. Sie lebte mit ihrer Mutter in Herford-Schwarzenmoor und war 19 Jahre alt, als sie ungewollt schwanger wurde. »Als ich im neunten Monat war, ließ mich mein Freund sitzen, und meine Mutter drohte mir, mich aus dem Haus zu werfen, falls ich das Kind behalten sollte«, erinnert sich die Frau. Sie habe sich damals ans Jugendamt gewandt, wo ihr drei Alternativen genannt worden seien: »Ich konnte das Baby in ein Heim geben, in eine Pflegefamilie, oder zu Adoptiveltern«, erzählt die 45-Jährige. Sie habe sich damals entschieden, das Baby nach der Geburt zur Adoption freizugeben: »Ich glaubte, dass das für das Kind das Beste sein würde und Adoptiveltern ihm mehr geben könnten als ich, eine auf sich allein gestellte, arbeitslose 19-Jährige.«
Im Mai 1979 brachte Andrea Eickhoff im Krankenhaus Bünde ihre Tochter zur Welt. »Es war eine schwere Geburt. Ich hatte starke Schmerzmittel bekommen und war benommen. Deshalb habe ich mein Kind damals nicht bewusst wahrgenommen.« Die folgenden Tage im Krankenhaus seien schwer gewesen, erzählt Andrea Schweitzer. »Niemand hat mich besucht. Ich lag dort alleine mit meinen Gedanken und fühlte mich, als hätten sie mir ein Stück meiner Seele weggenommen. Schließlich bin ich zu der Entscheidung gelangt, mein Kind doch zu behalten - trotz meiner ungewissen Zukunft.«
Doch als sie das Jugendamt aufgesucht habe, um dort, wie gesetzlich geregelt, innerhalb der Acht-Wochen-Frist ihre Tochter zurückzuverlangen, habe sich der Sachbearbeiter quergestellt: »Er sagte, ich könnte die Kleine nur wiederbekommen, wenn ich den Adoptiveltern alle Kosten ersetze, die sie bisher für das Baby aufgewendet hätten.« Natürlich wisse sie heute, dass der inzwischen pensionierte Beamte gelogen habe, sagt Andrea Schweitzer. »Aber damals? Ich war ahnungslos, hatte kein Geld und habe das Jugendamt kleinlaut verlassen.«
Die 19-Jährige kehrte ihrer Heimat den Rücken, nachdem sie in Bad Orb (Hessen) eine Stelle als Servicekraft in einem Hotel gefunden hatte. Andrea Eickhoff heiratete und ist heute Mutter von drei weiteren erwachsenen Kindern - einer Tochter und zwei Söhnen. Doch die Gedanken an ihr erstes Kind seien immer da, sagt die 45-Jährige. »Ich habe zwar keine Schuldgefühle, weil ich glaube, dass ich damals aus Sicht meiner Tochter das Beste für sie gewollt habe. Aber trotzdem bin ich traurig«, sagt sie. »Ich frage mich jeden Tag, ob meine Tochter wohl eine gute Kindheit gehabt hat und ob sie gesund ist, und diese Ungewissheit quält mich.«
Auch ihre anderen drei Kinder wollten ihre unbekannte Schwester kennenlernen, sagt Andrea Schweitzer. »Aber wir wissen ja nicht einmal, ob sie das überhaupt möchte. Vielleicht ahnt sie ja nicht einmal, dass sie adoptiert worden ist.« Die Möglichkeiten der Herforderin, ihre Tochter aufzuspüren, sind begrenzt, denn das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verbietet im Paragraphen 1758, eine Adoption und ihre Umstände aufzudecken, sofern das Kind und die Adoptiveltern nicht die Erlaubnis geben.
Vor drei Jahren hatte Andrea Schweitzer im Jugendamt Herford ihre Adresse hinterlegt - für den Fall, dass ihre Tochter danach fragen sollte. Doch bis heute ist kein Kontakt zustandegekommen. »Vielleicht könnten mir die Adoptiveltern ja anonym schreiben«, sagt die vierfache Mutter. »Dann wüsste ich endlich, wie es meinem Kind in den letzten Jahren ergangen ist.«

Artikel vom 18.06.2005