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Jugend ist Chance und Gefängnis zugleich

Gelungene Premiere von »Reich und blöd - Die Jugend von heute«

Von Katrin Heine
Bielefeld (WB). Eine Bühne, ein Herrenklo, ein Theaterflur: Das sind die Räume, die das Ensemble des Jugendclubs bei der Premiere von »Reich und blöd - Die Jugend von heute« im TAMoben mit Gedanken und Leben füllte.

Wer etwas über junge Menschen unserer Zeit lernen möchte, sollte die Produktion von Joachim von Burchard und seine Darsteller nicht verpassen. Wer einen kurzweiligen Theaterabend erleben möchte, auch nicht. In Szenen, die teils an Videoclips im Musikfernsehen erinnern, beschäftigt sich das Stück mit Sexualität, Bildung, Orientierungsprozessen und Jugendkultur. Die professionellen Nachwuchsdarsteller überzeugten auf der Bühne auch die, die vielleicht vergessen hatten, wie kompliziert es sein kann, wenn »man das Leben noch vor sich hat«.
Bei einer Live-Übertragung aus dem Toilettenvorraum stellten die Schauspieler fest, dass schon Aristoteles und Sokrates den Verfall der Jugend beklagt haben. Schlimmer als ihre Vorfahren sind auch sie nicht, die jetzt Netzwerkgeneration genannt werden und laut Soziologen traditionelle Werte wie Treue schätzen, ein liberales Moralverständnis für sich interpretieren müssen und in einer entgrenzten Welt leben. Das muss man erst einmal verkraften. Wenn Nolundi Tschudi, Sarah Smolorz und Elly Brockmann über Essstörung, die Suche nach dem Mittelmaß und die Zerstörung des eigenen Körpers sprechen, merkt das Publikum, dass Jugend sowohl Chance als auch Gefängnis bedeutet.
Nachdenkliche und ernste Szenen wechselten sich bei dem temporeichen Stück des Jugendclubs immer wieder mit solchen ab, in denen Marike Bode zum Beispiel selbst komponierte Lieder spielt (»Ich essÔ gernÔ Wurst«), Karoline Horstmann tanzt oder das Ensemble sich Wortgefechte liefert. Wer Ironie nicht schätzt, verpasst viel. Bei »Bist Du auch dumm? provozieren die Pisa-Verlierer einen Wissensstreit mit den Zuschauern, und diese lernen bei »Reich und blöd« auch die feinen Unterschiede zwischen Opera Gothic Metall und Heavy Hardcore Techno kennen.
Jugendtheater und Laientheater - das sind zwei verschiedene Dinge. Das beweisen die 14 Darsteller eindrucksvoll. Monatelanges Proben und die Tatsache, dass das Ensemble sich an vielen Stellen in das Stück mit eingebracht hat, führen zu einer eindrucksvollen schauspielerischen Leistung der Darsteller, die teils über eine Bühnenpräsens verfügen, mit der sie sich hinter professionellen Schauspieler nicht zu verstecken brauchen.
Die Jugend von heute ist geprägt von der Musik, die sie hört, Werbung und Vorabend-Soaps im Fernsehen, ihren Handyklingeltönen, ihren Computerspielen. Das ist aber nicht schlimm, sondern einfach die Realität und außerdem die Inspiration für eine außergewöhnlich und sehr unterhaltsame Theaterproduktion.

Artikel vom 17.06.2005