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Mit 16 werden Jugendliche brav

Kriminologe Klaus Boers befragte Schüler in Münster und Duisburg

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Jugendliche begehen die meisten Straftaten im Alter von 14 und 15 Jahren. Mit 16 kehren die allermeisten wieder auf den Pfad der Tugend zurück.

Diesen Zusammenhang zwischen Jugendkriminalität und Alter fand Professor Klaus Boers vom Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster bei wiederholten Befragungen von Schülern der Klassen 7 bis 10 in Münster und Duisburg heraus. Diebstahl oder Körperverletzung seien in der Entwicklung eines Jugendlichen »nichts Ungewöhnliches«, berichtete Boers bei seinem Vortrag in Bielefeld.
56 Prozent der Schüler der 9. Klassen aller Schulformen in Münster hätten zugegeben, bereits ein Delikt begangen zu haben. Es mal auszuprobieren, sei ein starkes Motiv gewesen. Im Alter von 16 oder 17 Jahren setze dann bei den allermeisten das Umdenken ein - mit dem Ergebnis, dass sie den Sinn von Gesetzen akzeptieren. »Ohne Rechtsverletzung keine Rechtsgeltung«, betonte Boers.
Der Wissenschaftler forscht und lehrt auf den Gebieten Kriminologie, Kriminalpolitik und Jugendstrafrecht und arbeitete am Gutachten zur Videoüberwachung im Ravensberger Park in Bielefeld mit. Boers erklärte, die Jugendkriminalität gehe seit 1999 zurück. Die Phase, in der seit 1984 die Zahl der Delikte in Westdeutschland um 150 Prozent hochschnellte, sei vorbei. Fälle wie der des Serienstraftäters Mehmet aus München dürften keinesfalls verallgemeinert werden, mahnte Boers: »Die Bezeichnung Mehrfachtäter mit fünf oder mehr Delikten im Jahr trifft auf fünf Prozent der Schüler in den Klassen 7 bis 10 zu.« Diese fünf Prozent stünden allerdings hinter fast 80 Prozent aller schweren Verbrechen. Boers räumte mit dem Glauben »Einmal auf der schiefen Bahn - immer auf der schiefen Bahn« auf. Selbst Intensivtäter brächen irgendwann ihre kriminelle Karriere ab.
Aber auch andere vermeintliche Gewissheiten erweisen sich als Vorurteil. Boers und seine Kollegen befragten die Schüler nach dem in der Familie vorherrschenden Erziehungsstil und untersuchten, ob er den Hang zu Straftaten unterbindet oder fördert. Bei der Auswertung der anonymen Antworten der 9. Klassen in Duisburg kam heraus: »82 Prozent derer, die mit Gewalt erzogen wurden, fallen selbst nicht durch Fälle von Körperverletzung auf.« Die Meinung, aus Geschlagenen würden Schlagende, sei falsch.
Genauso wenig lasse sich ein Zusammenhang zwischen brutalen Bildern und Verbrechen nachweisen. Von Kriegs-, Action- und Krminalfilmen gehe »keine direkte Stimulanz« aus, berichtete Boers. PC- und Videospiele hätten noch geringere Effekte, denn »sie sind weiter weg von der Wirklichkeit als Videofilme«. Allenfalls könnten Medien eine bereits vorhandene Tendenz zu Gewalttätigkeit verstärken. Persönlichkeitsstörungen seien nur bei 1 bis 10 Prozent der Täter bedeutsam, widerlegte Boers außerdem die These, bei Kriminalität handele es sich um eine Art Krankheit.
Im Kampf gegen Jugendkriminalität warnte Boers vor einer Verschärfung des Strafrechts. Heranwachsende so zu sanktionieren wie Erwachsene käme einer »Kriegserklärung der Gesellschaft an die eigene Zukunft« gleich. Weil das Gefängnis die »Hochschule des Verbrechens« sei, sollten die Gerichte weniger Arreststrafen und dafür mehr »ambulante Strafen« wie Sozialarbeit verhängen. Die Bestrafung müsse zügig erfolgen, möglichst innerhalb von zehn Wochen nach der Tat. Andernfalls schwinde das Unrechtsbewusstsein schnell.

Artikel vom 17.06.2005