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Erntehelfer werden zu teuer

Neue Sozialbeiträge für polnische Arbeitskräfte - Betriebe wandern aus

Von Ernst-Wilhelm Pape
Delbrück/Münster (WB). Deutsche Obst- und Gemüsebauern müssen für ihre Saisonarbeiter aus Polen vom 1. Juli an Sozialbeiträge an den polnischen Staat zahlen. Aufgrund der erheblichen Mehrkosten wollen viele Betriebe ihre Anbauflächen reduzieren und Arbeitsplätze streichen.

Nach einer Vereinbarung zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und dem polnischen Ministerium für Sozialpolitik belaufen sich die Beiträge zur Alters-, Renten-, Kranken-, Unfall- und Gesundheitsversicherung sowie an den Arbeitsfonds für den Arbeitgeber auf 20,46 Prozent und den Arbeitnehmer auf 27,21 Prozent. Diese Mehrkosten könnten nicht durch Preiserhöhungen, zum Beispiel für Spargel, Erdbeeren, Kirschen, Pflaumen und Äpfel, aufgefangen werden, sagte Herbert Knuppen von der Fachgruppe Obstbau beim Deutschen Bauernverband, dieser Zeitung. Dadurch sei die heimische Obst- und Gemüseproduktion massiv in Gefahr, zahlreiche Betriebe in ihrer Existenz bedroht. Deutsche Dauerarbeitsplätze in Genossenschaften, beim Verkaufspersonal und bei Fahrern würden vernichtet.
Die umstrittene Vereinbarung zwischen Deutschland und Polen, die auf EU-Recht beruht, soll nach Angaben des Arbeitgeberverbandes der Westfälisch-Lippischen Land- und Forstwirtschaft (WLAV) in Münster in den nächsten Tagen unterschrieben werden. Die deutsche Regierung habe eine Übergangsregelung abgelehnt.
Auch Spargelbauer Hans-Josef Brautmeier (52) aus Delbrück (Kreis Paderborn) will seine Ernte (170 Tonnen pro Saison) im nächsten Jahr umpflügen oder den Anbau nach Polen verlagern, wenn er auf »seine« 55 polnischen Helfer verzichten muss. Bei 20 Prozent mehr Lohnkosten und dem neuen bürokratischem Aufwand lohne sich der Spargelanbau nicht mehr.
Es sei ferner graue Theorie, die fehlenden Stellen mit deutschen Arbeitslosen zu besetzen. Für 5,17 Euro in der Stunde seien keine deutschen Erntehelfer für diese körperlich schwere Arbeit zu bekommen. Auf Schwierigkeiten stoße ferner der Einsatz von Arbeitern aus Rumänien und Kroatien, für die bis zum EU-Beitritt keine Beiträge bezahlt werden müssten.
Insgesamt sind in Deutschland jährlich 310 000 polnische Erntehelfer beschäftigt, davon 48 000 in NRW und 18 000 in Westfalen-Lippe. Diese sind bisher nach deutschen Recht größenteils sozialversicherungsfrei. Für mehr als die Hälfte soll nun gezahlt werden, da sie in Polen als selbständige Landwirte oder Arbeitnehmer mit bezahltem Erholungsurlaub gelten. Hausfrauen, Rentner, Studenten und Schüler aus Polen unterliegen weiterhin deutschem Recht.
Polnische Saisonarbeiter haben nach Angaben von WLAV-Sprecherin Marion von Chamier bereits angekündigt, nicht mehr nach Deutschland zu fahren, da nach der neuen Regelung von den 1000 Euro Einkommen im Monat 27 Prozent für die Sozialversicherung abgezogen werden. Außerdem befürchteten viele, dass sie aufgrund der Mehrkosten von deutschen Bauern nicht mehr eingesetzt werden. Der Verlust der Saisonarbeit führe dann dazu, in Polen Sozialunterstützung zu beantragen. Von Chamier: »Das ist ein Teufelskreis.« Seite 4: Kommentar

Artikel vom 18.06.2005