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Frauen beherrschen das Werk

George Condo-Ausstellung vom 19. Juni bis 14. August in der Kunsthalle

Von Matthias Meyer zur Heyde und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). Hier schreitet eine meditative Madonnenfigur durch eine italienische Landschaft, dort greift Mephisto nach »Mrs. Faust«. Frauen beherrschen das Werk des US-Künstlers George Condo - an diesem Sonntag wird die große Retrospektive »One Hundred Women« in der Kunsthalle eröffnet.

Der 47-jährige New Yorker, den seit gut 20 Jahren das alte Europa fesselt, ist ganz hingerissen von der Sensibilität, mit der Kunsthallenchef Thomas Kellein sein Îuvre behandelt. »Er ist unglaublich geduldig.« Und sehr gründlich: »Bevor Thomas die Bilder auswählte, die er in Bielefeld zeigen würde, hat er wirklich alles von mir durchgesehen, mein ganzes Atelier.«
Condo kann durchaus vergleichen, denn unmittelbar vor seinem Bielefelder Auftritt wurde ein Querschnitt seines Schaffens in Salzburg gezeigt. Doch welch ein Unterschied: »Da hing in zwei langen Sälen Bild an Bild, und man schritt an ihnen vorbei wie an den Bäumen einer Allee«, beschwert sich Condo noch nachträglich und parodiert einen paradierenden Soldaten. »Dabei weiß doch jeder, dass in den ÝZimmernÜ die wichtigen Werke hängen - in den alleeartigen Hallen präsentiert man nur die Marginalien.«
Die Kunsthalle dagegen, eine Kombination von »Zimmern«, die er vor einem Jahr bei einem Kurzbesuch kennenlernte, fasziniert Condo: »Hut ab vor der Intelligenz, mit der Philip Johnson diesen Bau entworfen hat.« Entspannt und glücklich wanderte der Künstler am Mittwoch durch die Etagen, in denen Kelleins mit sicherem Gespür entwickeltes Konzept langsam Gestalt annahm: »Beautiful!«
Den Bielefelder Bürgern macht der weltweit renommierte Maler ebenfalls Elogen. »Von der steifen Distanziertheit, die man den Deutschen manchmal nachsagt, ist hier nichts zu spüren. Eine entspannte Stadt, die mir sehr gefällt.« Überhaupt scheint der Künstler, obwohl er Paris zu einem zweiten Lebenszentrum erkor, ein Faible für Frankreichs rechtsrheinischen Nachbarn zu haben. »Als ich Anfang der 80er erstmals nach Europa kam, musste ich unbedingt sofort nach Köln. Ein mitten in der Bewegung erstarrter Dinosaurier, incredible, unglaublich!«
Dankbar registriert Condo, dass er in »Cologne« erstmals in seinem Künstlerleben Anschluss an eine Gruppe von Malern fand, die ihn sofort akzeptierten, ja, schätzten. Da scheint die Kunstszene Condos vielzitierten Kontakt zu Andy Warhols berühmter New Yorker »Factory« offensichtlich ein bisschen rosa zu malen . . .
Überaus erfreut ist Condo, dass nun zwei seiner - auch nach eigener Einschätzung - wichtigsten Bilder im Besitz der Kunsthalle sind. Der Förderkreis ermöglichte den Kauf von »Terrorism on Sept. 11« und »For the Victims of the W.T.C.«, die beide wenige Tage nach der Zerstörung der Twin Towers entstanden. »Jeder Künstler steht in der Pflicht, auf diesen Horror zu reagieren«, meint Condo, dessen Atelier nur gut einen Kilometer vom Unglücksort entfernt liegt. »Aber fairerweise muss ich sagen, dass mein künstlerischer Ansatz es mir leicht gemacht hat, das Ereignis in meine Arbeit zu integrieren.«
Wie aus dem Nichts (»Amerika wähnte sich doch unangreifbar!«), wie aus dem Trümmerstaub (»Ich war tagelang nur mit Atemmaske unterwegs!«) wachsen zwei Köpfe aus der Leinwand hervor, denen das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht. »Der 11. September war der erste Schultag meiner kleinen Tochter. Wie gewöhnlich, hatte ich schon früh am Morgen gearbeitet, und ich wollte gerade nach Hause, um mit meiner Frau zu frühstücken, als uns der Horror überfiel«, erinnert sich Condo.
Was für ein Zusammentreffen: »Damals interessierten mich in erster Linie Skulpturen. Und während die Rettungsmannschaften mit den Händen im Staub des World Trade Centers nach den Körpern der Opfer wühlten - vergeblich -, habe ich mit meinen Händen im weichen Ton die gültige Gestalt meiner Figuren zu ertasten versucht.«
»George Condo: One Hundred Women« ist bis zum 14. August zu sehen. Der Katalog (139 Seiten) mit 110 farbigen Abbildungen kostet 39,80 Euro.

Artikel vom 18.06.2005