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»Das war nicht alles«

Turbo-Powell nach dem Weltrekord über 100 Meter

Athen (dpa). Als die »9,77« auf der Anzeigetafel blinkten, riss der schnellste Mann der Welt die Arme in die laue Luft und ließ sich von den Zuschauern im Athener Olympiastadion feiern.

Asafa Powell war nach seinem Sturmlauf über 100 Meter am Ziel seiner Träume: Der 22 Jahre alte Supersprinter aus Jamaika hatte den attraktivsten Weltrekord der Leichtathletik in die Karibik geholt. »Ich wusste, dass ich es drauf habe. Ich habe mein Bestes gegeben. Der schnellste Mann der Welt zu sein, ist einfach großartig«, jubelte der neue Weltrekordler, der in diesem Jahr mit 9,84 Sekunden sein enormes Potenzial schon angedeutet hatte.
5000 Freunde der olympischen Kernsportart erlebten am Dienstagabend eine Sternstunde der Leichtathletik - auch wenn das Highlight des Super Grand Prix nur 9,77 Sekunden dauerte. Powell hatte schon den Vorlauf mit angezogener Handbremse in 9,98 gewonnen, und nach dieser Weltklassezeit wussten die Fans, dass etwas in der Luft lag.
Im Finale war der Sportmedizinstudent aus Kingston, geboren am 11. November 1982 in St. Catherine, nicht mehr zu halten. Ein Blitzstart, riesige Schritte, schneller Vorsprung, Sieg - Weltrekord! Zunächst wurden 9,78 Sekunden für »Turbo-Powell« angezeigt, genau jene Zeit, die Tim Montgomery (USA) bei seinen Weltrekord 2002 in Paris gerannt war. Da grinste der Modellathlet aus der Karibik aber schon, wohl wissend, dass Sprintzeiten von der Zielfoto-Elektronik oft um ein oder zwei Hundertstel nach unten korrigiert werden.
Powell, der 50 000 Dollar Weltrekordprämie kassierte, kürte sich damit endgültig zum heißen Favoriten für die WM in Helsinki (6. bis 14. August). Insider erwarten spätestens dort den nächsten Coup des Olympia-Fünften. Powell - wer sonst? Der neue Sprintstar hält sogar Zeiten bis 9,69 Sekunden durchaus für möglich, »darunter geht nichts mehr«. Mit 22 ist das 1,90 Meter große und 88 Kilo schwere Kraftpaket noch lange nicht im Zenit. »Abwarten. Das war noch nicht nicht alles«, meinte Powell selbstbewusst.
Nun ist er der Mann der Zukunft, die Rückschläge der Vergangenheit sind kein Thema mehr. Zu den Olympischen Spielen 2004 in Athen war er als Mitfavorit gekommen und geschlagen als Fünfter (9,94) abgereist. Bei der WM 2003 in Paris zerstörte ein Fehlstart in der zweiten Runde alle Hoffnungen. Dort hatte der Sprinter, der durch seine älteren Brüder zur Leichtathletik kam, sein internationales Debüt gegeben.
Powell halt dem Weltverband IAAF zugleich aus einer unangenehmen Situation - der Streichung eines aktuellen Weltrekords. Denn Montgomery droht nach den Doping-Anschuldigungen eine lebenslange Sperre. In der Vorwoche musste sich der US-Amerikaner einer Anhörung durch den Internationalen Sportgerichtshof CAS stellen. Wird er schuldig gesprochen, fallen auch seine 9,78 aus der Rekordstatistik. Die IAAF musste nachträglich den Weltrekord von Ben Johnson (Kanada/9,83) streichen, der bei Olympia 1988 in Seoul für den bislang größten Dopingskandal gesorgt hatte.

Artikel vom 16.06.2005