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Ein freizügiger Abend der offenen Tore

Bei aller Liebe zum stürmischen Spiel: Deutschland muss lernen, die Reihen zu schließen

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Frankfurt (WB). Es kommt wohl auf den Blickwinkel an. Sofort schlägt nach einem Spiel wie diesem auch wieder die Stunde der Bedenkenträger. Alles Mist in der Defensive. Oder warum sonst gelingt es Australien locker, drei Dinger im Kasten der Deutschen zu versenken?

Bundestrainer Jürgen Klinsmann könnte allerdings in 357 Tagen in München unter entsprechenden Umständen sogar noch einen Treffer mehr akzeptieren: »Wenn wir das Eröffnungsspiel der WM 5:4 gewinnen, wäre ich einverstanden. Dann hätten wie die ersten Punkte auf dem Konto.« Wie eben auch jetzt beim Confederations Cup - mit dem 4:3 gegen den aufmüpfigen Ozeanienmeister.
War's gut? War's schlecht? Es war wie zuletzt fast immer: vorne ganz gut, hinten ziemlich schlecht. Tatsächlich legen die deutschen Fußballer inzwischen in ihrem Sperrbezirk eine Freizügigkeit an den Tag wie sonst gewisse Damen auf der Reeperbahn. Aber dafür darf jetzt auch wieder eine Vergnügungssteuer erhoben werden. Es ist ordentlich was abgegangen in der ausverkauften Arena von Frankfurt, die Besucher sind dort voll auf ihre Kosten gekommen: 1:0, 1:1, 2:1, 2:2, 3:2, 4:2, 4:3.
So ein hoher Unterhaltungswert ist schließlich auch nicht zu verachten - wobei der Preis, der dafür zu entrichten ist, von Männern wie Robert Huth gezahlt werden muss, die die Verteidigung organisieren sollen. Nur um sich hinterher dann frech fragen lassen zu müssen: Hä, welche Verteidigung denn?
Tja, Deutschland und die Defensive. Auch unter Klinsmann ein Reizthema, dass die Fußball-Nation ein Jahr vor der WM in Atem hält. Junge Menschen, die vielleicht nicht wissen, das »wir« ja mal ein sicheres Vorstopper-Land waren, bügeln diese Sorgen noch mit einem fulminanten Schuss in den Torwinkel weg. Dorthin jagte Lukas Podolski den Ball. Es war das 4:2 in der 90. Minute, dem wie zum Trotz in der Nachspielzeit noch Australiens 3:4 folgte. Aber auch das konnte den 20 Jahre alten Kölner nicht von seiner Einstellung abbringen, das Team nicht in seine Einzelteile zu zerlegen, sondern als Ganzes zu betrachten: »Wir sind eine Mannschaft. Dann schießen wir eben jedes Mal so viele Tore, dass wir gewinnen.« Ganz so leicht dürfte es künftig allerdings nicht sein.
Nicht einmal Klinsmann glaubt daran, dass die deutschen Defensiv-Dellen dauerhaft folgenlos bleiben. Auch wenn es grundsätzlich ein »stürmisches« Spiel ist, dass die DFB-Auswahl unter Anleitung ihres früheren Spitzentorjägers betreiben möchte, so müssen bei aller Liebe die Reihen doch geschlossen werden. Gegner vom Schlage Argentiniens oder Brasiliens könnten sich sonst zu einer Darbietung herausgefordert fühlen, die sie beim Confed-Cup vielleicht gar nicht zeigen wollen.
Der Bundestrainer spricht viel von »Entwicklung« und »Lernprozess« und man kann davon ausgehen, dass der DFB-Trainerstab nicht sehenden Auges ins Verderben rennt. Intensive taktische Unterweisung gab es schon nach dem 2:2 gegen Russland, angeschlagen haben die Übungsstunden noch nicht. Stattdessen kommen Zweifel. Etwa an der WM-Tauglichkeit eines Robert Huth, den die Kritik nach dem Frankfurter Abend der offenen Tore besonders heftig traf.
Der Verteidiger des FC Chelsea London durfte unter Klinsmann in der DFB-Auswahl debütieren, machte das anfänglich auch ganz gut, wirkt nun jedoch überfordert, hüftsteif und zu langsam. »Robert hatte eine schwere Saison bei Chelsea und keinen richtigen Rythmus. Er bekommt aber meine volle Rückendeckung«, schirmt Klinsmann den Wahl-Insulaner ab. Den Bundestrainer-Rat, sich einen Klub zu suchen, in dem er nicht hauptsächlich die Reservebank »bewachen« muss, nahm der 20-Jährige jedoch nicht an. Huth wird bei Jose Mourinhos Ausnahmetruppe aber unbedingt mehr Spielpraxis sammeln müssen, damit er für Deutschland nicht weiter zum Sicherheitsrisiko wird.
Gegen Australien ging es noch einmal gut. Die Fans wusste der Confed-Cup-Tabellenführer der Gruppe A dazu auf seiner Seite. Der Spaß am offenherzigen Spiel verdrängte die Sorgen über die Schwächen beim Beschatten. Nur Torwächter und Abwehrer finden ein 1:0 besser als ein 4:3. Es kommt eben auf den Blickwinkel an.

Artikel vom 17.06.2005