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Kunden kaufen »zuviel billigen Ramsch«

Einzelhandelsverband erwartet für das laufende Jahr ein Umsatzminus von 0,75 Prozent

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Schnäppchenjäger sind »mitverantwortlich an der Vernichtung von Arbeitsplätzen«. Das hat gestern der Vorsitzende des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe, Reinhard-Dieter Wolf, den Verbrauchern ins Stammbuch geschrieben. Durch ihr Einkaufsverhalten würden sie großen Handelskonzernen dabei helfen, »den Mittelstand platt zu machen«. Kein Ladenbesitzer habe jemals behauptet, dass Geiz geil sei, betonte Wolf beim Rückblick auf das Geschäftsjahr 2004.
Rabattaktionen sind kein Garant für steigende Umsätze im Einzelhandel, betonen Stefan Genth (links) und Reinhard-Dieter Wolf. Verbraucher geben nach ihrer Überzeugung ihr Geld dafür aus, »wozu sie Lust haben, und nicht unbedingt, wofür gerade 50 Prozent Rabatt ausgelobt wird«. Fotos: Hans-Werner Büscher

In Deutschland gebe es keine Krise der Konjunktur, sondern eine »Krise der Wertschöpfung«, sagte der Vorsitzende der heimischen Geschäftsleute. Mengenmäßig werde ungefähr gleich viel gekauft wie früher, aber: »Weil zu viel Geld für billigen Ramsch ausgegeben wird, bleibt bei den Umsätzen zu wenig übrig, um die Unternehmen zu stabilisieren und Arbeitsplätze zu erhalten«. Wolf und Hauptgeschäftsführer Stefan Genth präsentierten die Ergebnisse einer aktuellen Konjunkturumfrage des Hauptverbandes des Einzelhandels, in die die Ergebnisse aus Ostwestfalen-Lippe einflossen. Demnach lockert der Himmel über den leidgeprüften Geschäftsleuten etwas auf: Zwar mussten 47 Prozent der Betriebe im 2. Halbjahr 2004 wieder Einbußen beim Umsatz verkraften, aber im Jahr zuvor waren es noch 58 Prozent.
Für das 1. Halbjahr 2005 rechnen nur noch ein Fünftel der Geschäftsleute mit einem Rückgang beim Umsatz, 28 Prozent spekulieren sogar auf ein Plus. Der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes OWL mit 3000 Unternehmen und 4500 Betrieben, Stefan Genth, sprach von einer »labilen Lage mit Hoffnung auf Besserung«. Das Umsatzminus von 1,6 Prozent 2004 werde sich in diesem Jahr voraussichtlich auf 0,75 Prozent abschwächen. Die hohen Energiepreise würden den Geldbeutel der Verbraucher aber weiter schmälern.
Wolf warnte davor, aus Sorge um den Arbeitsplatz oder die Gesundheit das Sparen zu übertreiben: »Wir Deutschen verarmen in den Köpfen immer mehr, weil wir alles zusammenrechnen, was uns passieren könnte.« In Wirklichkeit sei mehr Geld zum Ausgeben vorhanden, als mancher sich eingestehen wolle. Im europäischen Umsatzvergleich schneide Deutschland schlecht ab und erreiche nur noch 97 Prozent dessen, was 1992 in die Kassen floss. Länder wie Großbritannien, Irland oder Spanien stünden besser da.
Genth berichtete von einer Renaissance der Innenstädte, die sich gegenüber den Einkaufszentren auf der grünen Wiese immer besser behaupten könnten. Überdurchschnittlich gut liefen die Geschäfte in den Top-Lagen der Innenstädte. Die Rückbesinnung auf Händler vor Ort habe neben dem qualitativ hochwertigem Angebot und kompetenter Beratung nicht zuletzt demografische Gründe. Ältere Menschen wollten für Lebensmittel nicht 20 Kilometer mit dem Auto fahren. Die Zahl leerstehender Ladenlokale habe abgenommen, erklärte Genth: In Bielefeld, Gütersloh und Paderborn seien die Leerstände »kaum nennenswert«.
Die Verkaufsfläche in OWL wuchs auf 2,5 Millionen Quadratmeter: Statistisch entfallen davon auf jeden Paderborner 2,1 und auf jeden Bielefelder 2 Quadratmeter. Wolf warnte vor der ungezügelten Ausweitung der Flächen, wie jetzt beim Centro in Oberhausen mit zusätzlich 70 000 Quadratmetern. Das mache die benachbarten Kommunen zu toten Städten. Wolf: »Der Werrepark hat in geringerem Ausmaß den gleichen Effekt auf Bad Oeynhausen und Herford wie das Centro auf Oberhausen.« Um sich abzuheben, sollte sich Ostwestfalen-Lippe als Einkaufsregion mit Qualität statt bloßer Masse profilieren.
Von der Politik ist der Verband enttäuscht. Die Diskussion um eine Mehrwertsteuererhöhung sei Gift für die Konjunktur. Statt als »Joker für Sonntagsreden« missbraucht zu werden, sollten die Parteien den Mittelstand effektiv fördern, und zwar durch gleiche Chancen gegenüber den großen Ketten, forderte Wolf. Zur Zeit gelte das »Faustrecht des Stärkeren«: Während die Großen das »undurchschaubare Wettbewerbsrecht« für sich ausnützten und bei Verstößen nicht zur Rechenschaft gezogen würden, werde kleinen Händlern das Leben schwer gemacht. Wolf erinnerte an den Markthändler aus Bielefeld, der vom Eichamt dafür gescholten wurde, dass er den Kunden mehr Pilze in die Tüte packte, als bezahlt worden waren. Anfang der 1930-er Jahre habe der Staat in der Wirtschaftskrise das Rabattgesetz und die Zugabenverordnung »zum Schutz von Händlern und Verbrauchern« eingeführt. Die Abschaffung durch die rot-grüne Bundesregierung habe keine Fortschritte gebracht, meint Wolf.
Bei der Delegiertenversammlung des Einzelhandelsverbandes heute in der Ravensberger Spinnerei scheidet er als Vorsitzender aus. Sein Nachfolger wird Ferdinand Klingenthal aus Paderborn.

Artikel vom 14.06.2005