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Leitartikel
Entschuldung

Gibt's nicht gibt's
eben doch


Von Reinhard Brockmann
Länder gibt's, die gibt's gar nicht: Wer die gestochen scharf dargestellten Grenzen der 50 Nationen auf dem afrikanischen Kontinent betrachtet, sieht ein Irrbild. So unerheblich es heute noch ist, dass jene Linien in Kolonialzeiten gezogen wurden, so wenig treffen unsere Vorstellungen von Staatlichkeit mit der Realität überein.
Staaten wie Somalia oder Kongo haben aufgehört zu existieren. Die benachbarte Republik Kongo verfügt über gerade zwei Teerstraßen, der Rest ist Staub.
18 bitterarmen und hochverschuldeten, meist afrikanischen Ländern haben die acht reichsten Länder 40 Milliarden Dollar an Schulden erlassen. Neun weitere Staaten können auf einen Ausweg aus der Schuldenfalle rechnen. Das ist eine gute Nachricht, auf die Politiker, Rockstars und Helfer seit Jahrzehnten hingearbeitet haben. Vor allen notwendigen Bedenken gilt es den Briten, Amerikanern und auch den Deutschen, die mit jährlich 40 Millionen Euro dabei sind, Dank zu sagen.
Tony Blair hat die ihm zustehende Friedensdividende schon eingefahren. Sie hilft gegen das Image vom (Irak-)Kriegspremier mehr als jede andere Aktion.
»Brot für die Welt« und viele andere haben gestern den Schuldenerlass als historischen Schritt gewürdigt. Bundesministerin Heide Wieczorek-Zeul legte noch einen drauf und forderte für weitere arme Länder einen Schnitt mit den Lasten von gestern. Staaten, die mit den Folgen von Bürgerkriegen und Naturkatastrophen fertig werden müssten, dürfe dieser Weg jetzt auch nicht mehr versperrt sein, meinte sie.
In der Tat ist es ein Skandal, dass täglich 30 000 Kinder an vermeidbaren Krankheiten wie Durchfall oder Masern sterben müssen. Die Ärmsten der Armen haben nunmehr finanziellen Spielraum, um, wie erhofft, ihr Schul- und Gesundheitswesen sowie die Aids-Bekämpfung auszubauen.
Es gibt Beispiele, dass die Wende zum Guten gelungen ist - auch wenn wiederum nicht ausgeschlossen werden kann, dass Korruption und Schlamperei anderswo die Wirksamkeit der Hilfe schmälern werden. Immerhin: Die Entschuldung setzt voraus, dass die Nutznießer-Staaten ein verbindliches Konzept zur Armutsbekämpfung vorlegen und ihre Staatshaushalte transparenter machten. Ob das gleich ein »Stück demokratische Kontrolle« bringt, wie die deutsche Ministerin hofft, darf bezweifelt werden.
Die Entschuldung fällt zusammen mit dem Besuch von Weltbankchef Paul Wolfowitz in Afrika. Enorme Investitionen sind für die kommenden Jahre geplant. Allein die Geber-Konferenz für Südsudan will drei Milliarden Euro locker machen. Die Vereinten Nationen stehen in nichts nach und ersetzen vielerorts mit eigenen Kräften fehlende Infrastruktur.
Ergänzt um das Engagement von hunderten Nichtregierungs-Organisationen erfährt der Schwarze Kontinent so viel Hilfe wie noch nie. Beobachter hätten eine solche Ballung noch in den 90ern für unmöglich gehalten. Eben: Gibt's nicht gibt's nicht.

Artikel vom 14.06.2005