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Region besser
als der Staat

Klingenthal Chef der Einzelhändler

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Der neue Vorsitzende des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe, Ferdinand Klingenthal, will die Zusammenarbeit zwischen den Oberzentren Bielefeld und Paderborn ausbauen.

Die Besinnung auf die Region sei für Geschäftsleute lebenswichtig, sagte Klingenthal bei seiner Antrittsrede in der Ravensberger Spinnerei in Bielefeld: »Fachhandel lässt sich nicht exportieren. Ich bin ein glühender Anhänger der Vision von einem Europa der Regionen statt von Nationalstaaten.«
Von der Delegiertenversammlung des Einzelhandelsverbandes wurde Klingenthal einstimmig zum Nachfolger von Reinhard-Dieter Wolf gewählt. Ferdinand Klingenthal aus Paderborn lenkt die gleichnamigen Modehäuser und die Supermarktkette »Minipreis«; die Zeitschrift »Textilwirtschaft« lobte ihn jüngst als den »Standortmacher von Westfalen«.
Dem Einzelhandel gebühre mehr öffentliche Beachtung, betonte der neue Verbandschef. Weil Geschäftsleute für lebendige Innenstädte sorgten und sich am kulturellen Leben beteiligten, seien sie »keine nüchternen Versorger der Bevölkerung«. Um dem Einzelhandel auf die Beine zu helfen, forderte Klingenthal von der Politik ein arbeitgeberfreundliches Tarifrecht und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Gewerkschaften halte er für sinnvoll, Funktionäre, die egoistische Interessen verfolgen, für ein Übel.
Nach Einschätzung des Präsidenten des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) in Berlin, Hermann Franzen, droht Europa »zum Wirtschaftsmuseum« zu werden. Eine Flut von Vorschriften lähme unternehmerisches Handeln. Wenn Bürokraten in Brüssel allen Ernstes darüber nachdächten, Kakteen aus dem Verkehr zu ziehen, weil Menschen sie essen und sich dabei vergiften könnten, dann sei es schon weit gekommen.
Der Glaube, Firmen seien eine Art Samariter, sei wirklichkeitsfremd. Franzen erinnerte an den Ausspruch von August Oetker, wonach Unternehmen nicht dazu da seien, Mäntel zu teilen, sondern zu produzieren.
Seit 13 Jahren erlebe der Einzelhandel Stillstand. Das letzte Mal habe es zwischen 1986 und 1991 bei Wachstumsraten von 4 bis 11 Prozent strahlende Gesichter gegeben. In Deutschland sei es »fünf Sekunden vor Zwölf«, sagte Franzen: Nur mit weniger Bürokratie, niedrigeren Steuern und verlässlicher Politik könne die Wende geschafft werden.

Artikel vom 15.06.2005