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Im Würgegriff von Hartz IV

Theaterlabor: Hauptmanns »Weber« als niemals endender Arbeitskampf

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Hänschen klein warf 'nen Stein, kam gleich ins Gefängnis rein . . . Ja, es ist schon ein Kreuz mit dem ewigen Klassenkampf. Von Gerhart Hauptmann bis Gerhard Schröder - immer Revoluzzer gegen Blutsauger. Applaus also für »Die Weber« zur Premiere am Donnerstag im Theaterlabor.

Arbeitskämpfer, seid ihr auch alle da? Ja: »Hey, Boss, ich brauch mehr Geld!«, skandieren die ausgebeuteten Weber von hinten rüber. »Leute, kapiert's doch - die Globalisierung frisst ihre Kinder!«, schreit der Fabrikant zurück. Der subalterne Schleimer (Max Grashof) ruft wohlfeile Slogans in die Debatte, die Stammtischdumpfbacke (Andreas Hilscher) grölt was von »wer arm ist, ist nur zu faul zum Arbeiten«, der Protestsänger (Mathias Reiter) schmettert einen Protestsong und zerschmettert dann die Klampfe, Sturm auf die Fabrikantenvilla, Schuss, Abmarsch.
Sehr laut ist Christian Schlüters Inszenierung, und leider geht's auch gar nicht anders. Denn im »Tor 6«, der Ausweichspielstätte für das im Umbau befindliche Stadttheater, hat Anke Grot die Bühne zur Arena umfunktioniert: an allen vier Seiten umgeben von Zuschauern. Und oben, auf bunten Reklametafeln, blinkt der zur Ware gewordene Mensch.
Wenn also, nur so zum Beispiel, Katharina Zoffmann als Mutter Baumert seufzen möchte, wie schwer das Leben ist, muss sie es brüllen, sonst hört's das halbe Publikum ja nicht. Und wenn Andreas Hilscher in sein Bierglas hinein dozieren will, wie er mit arbeitsscheuem Gesindel umspringen würde, muss er ein Podest besteigen und die Stimme auf Demagogie hochdrehen.
Das ist das Manko dieser Inszenierung: Alle Nuancen gehen perdü. Wer schreit, hat Unrecht - wem also soll man in dieser (Theater-)Welt voller Schreihälse Sympathien schenken? Leise Verzweiflung in der Weberhütte - Fehlanzeige. Heuchlerischer Jammer im Unternehmerpalast - nö. Crescendo bei der Straßendemo - ach, woher denn.
Fast das gesamte Ensemble steht auf der Bühne, und jeder hat seinen Moment, in dem er seine Ausdrucksfähigkeit vorführen darf. Nur ausspielen, ausspielen darf er sie nicht. Schade.
Aber wenn schon Schlachtenlärm, dann bitte richtig. Doch einen Krach wie in Dresden, wo Volker Lösch echte Arbeitslose gegen die Politik marschieren ließ, hat sich Schlüter wohl nicht getraut. Statt dessen betteln die Schauspieler im Publikum (»Haste mal 'nen Euro?«), werfen sie Zettel mit aufrührerischen Texten in die Menge (die ihre Kollegen, vorsichtshalber, sogleich wieder einsammeln), und selbst die Plünderung im Hause Dreißiger, den Thomas Wolff sehr schön im weinerlichen Lamentoso verenden lässt, wirkt ein bisschen wie Abbrucharbeiten unter dem gestrengen Auge des Bauamts.
Irgendwie ist jeder betroffen, aber irgendwie reicht eben nicht. Am Ende mutiert Wolff zum Alten Hilse, aber wer da erschossen wird, ein Underdog oder der Ex-Fabrikant, bleibt offen. Ohnehin lesen die Darsteller ja nur in einem ollen Schmöker. Weberaufstand? Polizeistaat? Hartz IV? Alles Fiktion. Alles egal. Bloß nicht anecken.
Weitere Aufführungen am 10./11. und 14. bis 17. Juni, am 19. bis 21. und am 24. bis 26. Juni sowie am 28. bis 30. Juni. Ferner am 1. und 3. bis 6. Juli.

Artikel vom 11.06.2005