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Alles dreht sich um Ballack

Im WM-Jahr darf dem Münchner am allerwenigsten etwas passieren

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Frankfurt (WB). Michael Ballack weiß, dass er erst dann in den fußballerischen Adelsstand erhoben wird, wenn er auch mit der Nationalmannschaft einen Titel errungen hat. Fritz Walter war Weltmeister, Wolfgang Overath auch. Und Lothar Matthäus. Matthias Sammer wurde Europameister. Um mit diesen klangvollen Namen aus dem deutschen Mittelfeld in einem Atemzug genannt zu werden, fehlt Ballack eine Meisterschaft mit der Auswahl seines Landes.

Aber er arbeitet daran. Und ohne die Verdienste der anderen schmälern zu wollen: Er ist sicher der letzte Nationalspieler, dem im WM-Jahr etwas zustoßen darf. »Ballack, Ballack und nochmals Ballack« überschrieb die Deutsche Presse-Agentur einen Bericht nach dem 4:1 über Nordirland, als sich der Münchner wieder einmal als unverzichtbar erwiesen hatte.
Alles dreht sich um ihn. Inzwischen akzeptiert er auch die Sonderstellung, obwohl es ihn danach eigentlich gar nicht drängt. Ballack ist kein Vorangeher von Haus aus, sondern jemand, den seine Leistung dazu bestimmt hat. Damit seine Führungskraft die exponierte Rolle auch annimmt, überreichte ihm der Bundestrainer das Kapitänspatent. Jürgen Klinsmann zog Oliver Kahn die Binde vom Ärmel und streifte sie Ballack über. Ein symbolischer Akt, der den ehemaligen Leverkusener noch mehr in die Pflicht nimmt und große Verantwortung gibt.
»Er ist ein echter Leader«, lobt Klinsmann seinen leitenden Feld-Angestellten. Der wird wie selbstverständlich auch in die Ausrichtung des neuen deutschen Spiels eingebunden. Mit Ballack weiß der Bundestrainer einen Befürworter der offensiven Gangart auf seiner Seite. Es ist ein Spielstil, der ihm Spaß macht. Und Diskussionen wie in München, wo Bayern-Trainer Magath den beschwingten Ballack schon weit nach hinten holte, musste der 28-Jährige im Kreis der Nationalmannschaft nie führen.
Da darf er nach vorn, und das gefällt Ballack bestens. Schließlich genießt er international den Ruf, torgefährlichster Mittelfeldmann von allen zu sein. 24 Länderspieltore in 52 Partien sind eine Ausbeute, die manchen Torjäger besser den Beruf wechseln ließe.
Dazu hat sich Ballack nicht nur als Sprecher etabliert, sondern erledigt bei Bedarf auch erzieherische Aufträge. Als der 20 Jahre alte Bastian Schweinsteiger gegen die Russen glänzte, riet der erfahrene Kollege, den Ball flach zu halten: »Wir sollten ihn jetzt nicht zu sehr loben.« Auf ironische Art verweigerte Ballack Schweinsteiger auch die eigene Identität. »Ich würde sagen, er ist schon so ein kleiner Mehmet Scholl-Verschnitt.« Aber im Grunde war das natürlich ein raffiniertes Kompliment.
Das konnte Ballack der Abwehr zuletzt nicht machen. Er beließ es nach den Lücken von Belfast bei einer leichten Rüge für den »Kindergarten«, weil der noch mit Lernen durch Üben beschäftigt ist: »Vorn waren wir gut, hinten unerfahren. Ich will nicht sagen, dass dies ein Problem wird. Aber wir müssen sehen, ob es funktioniert.«
Die kritische Auseinandersetzung ist von Jürgen Klinsmann ausdrücklich erwünscht, weil er weiß, dass es Ballack nicht dazu nutzt, einen fertig zu machen. »Er ist bescheiden, zugänglich und charakterlich top«, lobt der Bundestrainer seinen Chefprofi.
Auf dem Rasen kann er allerdings zum bösen Buben werden. Von grimmigen Blicken oder engen Brust-an-Brust-Duellen mit Ballack in der Bundesliga können auch Nationalelfgefährten berichten. Und um eine beinharte Attacke ist er mitunter auch nicht verlegen. So fällte er zuletzt schonungslos den Russen Ismailow, der früh weggetragen wurde.
Sonst ist der dreifache Familienvater ein friedlicher Mensch, der zwar im Mittelfeld spielt, den Mittelpunkt nach dem Abpfiff jedoch nicht sucht. Im Spiel steht er um so mehr im Fokus, es könnte das große Jahr des Michael Ballack werden. Klinsmann hat ihn schon herausgefordert: »Wir trauen ihm zu, der Ausnahmespieler der Weltmeisterschaft zu werden.«

Artikel vom 15.06.2005