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Hauptstadt ohne
Glanz und Glamour

Male ist nur knapp zwei Quadratkilometer groß

Von Thomas Albertsen
Male (WB). Ahmed ist Uhrenhändler auf dem Markt von Male. Sein Verkaufsstand ist zweigeteilt: Normale »Zeiteisen« liegen auf einem Klapptisch, wasserdichte Chronometer schwimmen in einem kleinen Topf. Ahmed ist ein ehrlicher Mensch - er verkauft keine billigen Plagiate Schweizer Luxusuhren.

Mit Markennamen ist auf den Malediven nämlich kein Staat zu machen. Hochwertiger Tourismus bescherte den Malediven in den vergangenen Jahren zwar stetig wachsende Wirtschaftskraft, der kleinen Hauptstadt sieht man dies jedoch nicht an. Zwar wachsen immer mehr Glasfassaden in die Höhe, doch auf dem zwei Quadratkilometer großen Eiland leben immerhin 70000 Menschen. Da ist kein Platz für noble Wohnviertel. Luxus definiert sich in Male anders: Als Statussymbol gilt es, ein schönes Auto zu besitzen - oder wenn jeder Familienangehörige über ein eigenes Zimmer verfügt. Ganz schön schwer in einer Stadt, in der fast alle Malediver, die auf den äußeren Atollen leben, einen irgendwie gearteten Verwandten haben. Ehrensache, dass dessen Wohnung erste Anlaufstation ist, wenn Kinder von auswärts die höheren Schulen von Male besuchen wollen.
Touristen, die nach Male kommen, landen auf der Flughafeninsel und werden von dort aus direkt mit einem Motorboot oder per Wasserflugzeug auf ihre Badeinsel gebracht. Die Hauptstadt besuchen in der Regel nur jene Urlauber, die auf nahegelegenen Inseln wie Kurumba, Vabbinfaru, Baros, Ihuru, Furanafushi, Embudhu, Finolhu, Vadhoo oder Bolifushi gebucht haben.
Wer sich entschließt, Male zu besuchen, kommt am präsidialen Anleger an, der auf einen hübschen Platz mündet. Gesäumt von zwei »Wolkenkratzern«, dominiert jedoch eher die festungsartig anmutende Polizeistation und die über die Bäume hinausragende goldene Kuppel der modernen Moschee. Am besten, man wendet sich zunächst nach rechts und läuft zum Marktviertel. Von den dort ankernden Dhonis werden Güter aller Art ausgeladen und in die Hallen geschleppt. Natürlich ist viel frischer Fisch dabei, aber auch importiertes Gemüse. Betelnüsse und Zigaretten aus zusammengerolltem Zeitungspapier, Gewürze und natürlich Kokosnüsse. Der Holzmarkt indes hat seine Bedeutung eingebüßt, denn geheizt wird heutzutage mit Öl. Holz benötigen nur noch die Touristenresorts, denn in vielen dominiert die Holzbauweise.
Males schönste Gebäude gehören alle Präsident Abdul Gayoomin - und sie werden streng bewacht. Das Staatsoberhaupt hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich an Ansehen verloren. Am öffentlichen Leben nimmt Gayoom daher nicht teil, pendelt zwischen seinen drei goldenen Käfigen namens Residenz, Amtssitz und Privatinsel.
Da es weder Nobelboutiquen noch Edelrestaurants gibt, sondern Male im Gegenteil sehr bodenständig wirkt, fehlt auch der Jetset. So wird der Tourist vielleicht noch am ehesten im Sunrise Café einkehren, um sich dort an einem Milchshake aus einheimischen Bananen zu laben.
Leider tritt das Drogenproblem immer sichtbarer ins Licht der Öffentlichkeit, wenn sich die Süchtigen in die Menge am Platz Jumhoree Maidan mischen, wo die Neuigkeiten des Tages die Runde machen. Die Polizei beginnt nun, hart durchzugreifen. Auch denkt man über Programme zur Suchthilfe nach.
Außer zu den Gebetszeiten ist das Islamische Zentrum Male ständig auf Besucher eingestellt, sofern diese respektvoll gekleidet sind. Die riesige Moschee bietet Platz für 5000 Menschen und wurde den Malediven von befreundeten Staaten wie Saudi-Arabien, Pakistan, Ägypten, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten geschenkt. Die in der Nachbarschaft befindliche historische Freitagsmoschee Hukuru Miskiiy darf jedoch nicht betreten werden. Trotzdem lohnt es sich, dorthin zu gehen, denn man kann über den Zaun schauen und sieht den Friedhof. Spitze Grabsteine sind Männern gewidmet, unter den runden wurden Frauen zur letzten Ruhe gebettet. Je einflussreicher der Tote war, desto höher ist der Stein. Eindrucksvoll sind die Grabhäuser der ehemaligen Sultansfamilie.
Es gibt in Male auch ein Nationalmuseum und eine Kunstgalerie, die jedoch beide am Freitag und Samstag geschlossen sind. Die Exponate sind jedoch ziemlich bunt durcheinandergewüürfelt und nur in den hübschen, aber für Touristen nicht zu entziffernden maledivischen Schriftzeichen beschrieben.
Kaum zu glauben, aber wahr: Male verfügt über vier Tankstellen und sogar ein Fußball-Stadion. An der Ostseite der Insel hat man eine einfache Promenade gebaut. Von dort aus lässt sich der Stadtjugend beim Wellenreiten zuschauen.
Was Touristen in Male als angenehm empfinden: Es gibt keine US-Imbissketten, keine lästigen Händler und so gut wie keine kitschigen Souvenirs. Die Geschäfte bieten vielmehr einen skurrilen Mischmasch von Dingen, die im maledivischen Alltag benötigt werden. Mitbringsel gesucht? CDs einheimischer Bands verlängern den Malediven-Urlaub zumindestens akustisch...
Noch ist Male übrigens die einzige Stadt auf den Malediven. Doch an der »Konkurrenz« wird bereits gebaut. Die künstlich angelegte Insel Hulumale, die sich an das beim Tsunami zerstörte Club-Med-Resort anschließt, soll mit Wohnungen und Büros bebaut werden.

Artikel vom 15.06.2006