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Wilhelm flieht mit Arabelle

Spannende Liebesgeschichte aus dem Mittelalter

Von Manfred Stienecke
Bielefeld (WB). Keine Bestseller-Liste ohne einen historischen Roman. Das in modische Abenteuergeschichten verpackte Mittelalter verkauft sich prächtig. Die historische Wahrheit jedoch bleibt da nur allzu häufig auf der Strecke.

Da kann es wohltuend sein, zu einem Büchlein zu greifen, das sich dem Rätsel früher Dichtung auf einem ganz anderen Wege nähert: dem der behutsamen Annäherung und der sorgfältigen Ortserkundung.
Der aus Rüthen bei Paderborn stammende Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Wilhelm Gössmann begibt sich in seinem 80 Seiten schmalen Büchlein »Der Heilige und die Sarazenin« auf die Spuren des zur Zeit Karls des Großen im Frankenreich lebenden Herzogs Wilhelm von Aquitanien, der im 11. Jahrhundert heilig gesprochen wird. In einer raffinierten Mischung aus fiktiver Erzählung, Reisebericht und literaturgeschichtlicher Abhandlung vergegenwärtigt er eine längst vergessene Liebesgeschichte, die aus heutiger Sicht tatsächlich den Stoff für eine klatschträchtige Königshaus-Story abgeben könnte.
Zu Grunde liegt dem Geschehen das altfranzösische »Wilhelmslied« (Le Chanson de Guillaume), das Vorbild wurde für das Epos »Willehalm« des mittelalterlichen »Parzival«-Dichters Wolfram von Eschenbach. Es handelt von dem aquitanischen Herzog Wilhelm, der sich in der Fehde mit den aus Spanien einrückenden Sarazenen befindet, in deren Gefangenschaft gerät und dort die mit einem arabischen Heerführer vermählte Arabelle kennen und lieben lernt. Mit ihr gelingt ihm die Flucht zurück nach Frankreich, wo Wilhelm sie schließlich in Orange als »Gyburc« zur Frau nimmt.
Gössmann setzt sich in seiner immer wieder mit Originalversen kombinierten Erzählung wissenschaftlich-literarisch mit dem Epos auseinander. In der Person des Literaturwissenschaftlers »Willem« reist der emeritierte Düsseldorfer Germanist mit zwei Frauen, seiner ehemaligen Schülerin Madeleine und der Studentin Radegunde, per Auto an die Originalschauplätze der Wilhelm-Saga nach Orange, den ehemaligen provencalischen Hof, und ins Kloster Saint-Guilhem-le-Désert in Aquitanien. Im gemeinsamen Diskurs entfalten die Drei die wunderbare Liebesgeschichte der beiden Protagonisten aus unterschiedlichen Kulturen und liefern damit auch ein zärtliches Bekenntnis zum Verständnis zwischen Christentum und Islam.
»Der Heilige und die Sarazenin«, 80 Seiten, Grupello-Verlag, Düsseldorf 2005, 12,80 Euro.

Artikel vom 18.06.2005