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Etwas Eile darf schon sein
Ein Gute-Nacht-Kuss geht auf die Reise zu Klara
So ein Gute-Nacht-Kuss kann schon einiges anstellen. Glaubt ihr nicht? Na, dann lest doch mal selbst!
»Ohne einen Gute-Nacht-Kuss von Dir kann ich nicht einschlafen, Papa!«, sagt Klara in den Telefonhörer.
»Aber ich komme erst nach Mitternacht wieder!«
»Dann bleibe ich eben wach, bis Du da bist!«
Klaras Vater seufzt und erwidert: »Das geht nicht, Schatz, aber ich schicke Dir einen Gute-Nacht-Kuss, und Du darfst so lange aufbleiben, bis er bei Dir angekommen ist.«
»Einverstanden!«, antwortet Klara und verabschiedet sich.
Als Klaras Vater den Hörer auflegt, schickt er den kleinen Gute-Nacht-Kuss auf die Reise. Er lässt ihn über seine Lippen nach draußen krabbeln und pustet ihn sanft in den Abendwind. »Flieg zu Klara!«, flüstert er, winkt ihm nach und beobachtet, wie sich der kleine Kuss durch das geöffnete Bürofenster nach draußen zwängt. Als der weiche Abendwind eine stärkere Brise schickt, hüpft der Kuss mutig in die Strömung und macht sich auf den Weg zu Klara.
Fröhlich wirbeln seine kleinen Flügel im Wind herum. Er schlägt ein paar vergnügte Purzelbäume und fliegt dann über die Dächer der Stadt, die im Mondenschein silbrig glänzen, hinweg.
Plötzlich jedoch wird sein Flug unterbrochen. Unerwartet purzelt der kleine Kuss in ein gefährliches Luftloch. Seine Flügel wedeln wild, dennoch verliert er an Höhe, Meter für Meter. Im allerletzten Moment entdeckt er die Krone eines uralten Kastanienbaumes. Der kleine Kuss streckt seine Flügel aus und bleibt zwischen zwei dünnen Zweigen hängen. Erleichtert atmet er auf, seufzt und macht sich auf den Weg, den mächtigen Kastanienbaum hinunter zu klettern.
Unten angekommen schüttelt er sich und schaut besorgt zum Himmel hinauf. Im Glanz der Sterne steht der runde Mond bereits mittig am Himmelszelt. Der kleine Kuss weiß, dass er sich beeilen muss, denn Klara wird bald eingeschlafen sein. So sputet er sich und sucht nach einem Weg, um in die Stadt zu gelangen.
Gerade als die nahe gelegene Kirchturmuhr zur vollen Stunde schlägt, biegt ein hell erleuchteter Bus in die Straße ein und hält, um einige Fahrgäste abzusetzen. Unbemerkt klettert der kleine Kuss in den Bus und versteckt sich zwischen einem Paar schmutziger Gummistiefel. Er fährt bis zur Endstation und steigt dort aus. Nur wenige Meter trennen ihn noch von seinem ersehnten Ziel.
Vor Erschöpfung schnaubend erreicht der kleine Gute-Nacht-Kuss das rote Backsteinhaus von Klaras Eltern und kriecht an der rostigen Regenrinne hinauf in den zweiten Stock. Mit letzter Kraft schwingt er sich durch den Spalt des geöffneten Fensters und sieht, dass Klara in ihre Decke eingekuschelt, halb sitzend, halb liegend, kurz vorm Einschlafen ist.
Ihre Augen sind von ihren müden Lidern bereits bis zur Hälfte bedeckt. Eilig läuft der Kuss zu ihrem Bett, krabbelt zu ihrem Ohr und haucht Klara ein sanftes: »Gute-Nacht!« hinein. Dann lässt er sich mit einem Schmatzer auf ihren Wangen nieder. Klara und der kleine Kuss lächeln sich müde an und schlafen im nächsten Augenblick zusammen friedlich ein.

Artikel vom 25.06.2005