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Leitartikel
Politik hält Wähler frisch

O Punkt L
und
G Punkt S


Von Rolf Dressler
Was für eine (w)irre Woche! Schröder, Schröder und nur Schröder. Ganz Deutschland dreht sich um den Bundes- kanzler.
Niemand darf sich sicher sein, dass eben noch Gesagtes und Gedrucktes nicht schon Stunden oder gar Minuten später Schall und Rauch oder sonstwas ist. Mal abgesehen - vielleicht - von dem unerreichten Irrwisch von der Saar. Der nämlich möchte fortan von linksaußen her seine Ex-Partei und mit ihr möglichst auch gleich die politische Landschaft insgesamt völlig neu aufmischen. Natürlich unter der altbekannten Qualitätsmarke mit dem Kürzel »O Punkt L« für Oskar Lafontaine.
Alle Momentaufnahmen also haben nur eine grotesk kurze Restlaufzeit. Denn überall zieht das Berliner Tohuwabohu kräftige Furchen. Zwischenstand offen - und das bittere oder hof- fentlich erlösende Ende erst recht.
Einzig die angehenden Koalitionäre von Schwarz und Gelb in Düsseldorf ziehen offenbar zielgerichtet ihre Bahn. Gerade so, als fechte sie der rot-grüne Sturzflug im Regierungsviertel an der Spree überhaupt nicht an. Dabei geschieht nach Ansicht vieler am Rhein historisch Beträchtliches: Dort, so war unlängst zu lesen, nehme die alte Bundesrepublik von sich selbst Abschied.
Gewiss arbeitet bei Rot und Grün nun praktisch jede(r) auf eigene Rechnung. Und richtig ist auch: Wer dem Bundespräsidenten verbal dermaßen knorrig vors Schienbein tritt wie die SPD-Lautsprecher Stiebler, Erler, Müller & Genossen, der demontiert vorsätzlich auch Gerhard Schröder
Derweil reden (fast) alle wie selbstverständlich von Neuwahlen. Nur, können sie tatsächlich als bereits ausgemacht gelten? Schröders Wunsch-Weg sei ungangbar; deshalb könne und dürfe Bundespräsident Horst Köhler dessen Trickspiel keinesfalls mitspielen - diese glasklare Ansicht vertritt nachdrücklich Dieter Grimm, einer unserer hoch her- ausragenden Verfassungsrechtler.
Spekuliert Schröder - eine allzu verwegene Vorstellung? - etwa gar insgeheim auf ein Nein Horst Köhlers, um die Konkurrentin Angela Merkel und die Union noch ein letztes Mal so richtig vorführen zu können?
Der Souverän, der Wähler, übrigens widerlegt erfreulicherweise doch immer wieder die Behauptung des Philosophen Gustave le Bon (1841 - 1931), dass der Massenmensch angeblich unfähig sei, Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden. Gegenbeweis: siehe die NRW-Wahl.
Sollte Gerhard Schröder als allerletzter Mini-Trumpf also nur noch sein legendäres Gewinner-Lächeln bleiben, während Kanzleramtsbewerberin Angela Merkel genussvoll auf der Welle der Unzufriedenheit von Wahlkampfauftritt zu Auftritt surft?
Dazu ein satirischer Einfall der »Welt«: Schröder unterzöge sich einer Gesichtsoperation. »Dann könnten sich die Wähler auch noch für eine SPD-Merkel entscheiden. Motto: Wählen Sie das sozialdemokratischere Übel...«
Ob das Deutschland weiterbrächte? Wir zweifeln. Und Sie?

Artikel vom 11.06.2005