08.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Alte Sozialkritik - aber
brisant und hochaktuell

Morgen haben Hauptmanns »Weber« Premiere

Bielefeld (WB/mzh). Als vor 160 Jahren maschinell produzierte Stoffe die schlesischen (Hand-)Weber ins Elend stürzten, wehrten sich die Verhungernden. Und der Staat schoss mitleidlos zurück. Greifen diese Mechanismen in Hartz IV-Zeiten etwa immer noch?

Wie brisant Gerhart Hauptmanns »Weber« heute noch sind, wird man morgen um 20 Uhr im Theaterlabor »Tor 6« (auf dem Gelände zwischen August-Bebel- und Teutoburger Straße) sehen können. Dann nämlich hebt sich der Vorhang über der Inszenierung von Christian Schlüter, der in Bielefeld bereits mehrfach Regie führte, bei Sophokles wie bei Shakespeare und zuletzt in der hinreißenden Martial-Art-Persiflage »Schlachten//Samurai«.
Regisseur und Dramaturg (Uwe Bautz) sprechen den »Webern« noch heute Aktualität und Brisanz zu - 112 Jahre nach der Berliner Uraufführung, wegen der der Wilhelm II. seine Loge kündigte, berge Hauptmanns Sozialkritik vielleicht sogar mehr Zündstoff als zu Kaisers Zeiten. Immerhin diskutiere derzeit die ganze Nation Fragen nach Teilhabe und Nichtbeteiligung an der Gesellschaft der Arbeit: Lohnempfänger oder Hartz IV-Empfänger - das ist hier die Frage.
Keineswegs eine akademische: Noch immer nicht abgeebbt sind die Wogen der Erregung, die die Welt des Theaters genauso fluteten wie die Politikszene, als zur Dresdener Inszenierung der »Weber« ein Chor von Arbeitslosen Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt und Kanzler Gerhard Schröder rüde attackierte. Auch Sabine Christiansen, in deren Talkshow Deutschlands orientierungslose Politiker-Kaste den Sonntagabend zulabert, statt reale Probleme anzupacken, wurde scharf angegangen. Der Staat reagierte prompt: Aufführungsverbot. Basta.
Die ehemalige Leinenstadt Bielefeld empfiehlt sich geradezu von selbst für Hauptmanns heiß umkämpftes Stück, und auch der Spielort (Dürkopp/Tor 6) steckt als ehemalige textilverarbeitende Stätte voller Bezüge zum Thema. Hier stellt Regisseur Schlüter die unbequeme Frage nach dem Wert des Menschen in der postindustriellen Gesellschaft. Kurz: Wer sind die Weber von heute?
Schlüter behält das originale fünfaktige Schema bei, doch manche Konturen verschwimmen. So ist Thomas Wolff sowohl in der Rolle des Ausbeuters Dreißiger wie auch des unbeteiligten Opfers, des alten Hilse, zu sehen.

Artikel vom 08.06.2005