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Frankreich zu Gast in Ostwestfalen

IHK-Begegnungswoche in Bielefeld eröffnet -ÊAppell an deutsche Schüler: Lernt Französisch!

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). Rendez-vous im Ostwestfalen-Saal: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwestfalen zu Bielefeld hat gestern - nach Skandinavien, Indien und China - die vierte Länderwoche eröffnet. Im Mittelpunkt steht Frankreich, der nach Angaben von Kammerpräsident Herbert Sommer seit Jahrzehnten wichtigste Handelspartner Deutschlands.
Traktoren aus dem früheren Renault-Werk in Le Mans -Êhier mit (v.l.) Clara Gaymard, Rüdiger Günther und Botschafter Pierre Martin -Êtragen statt Orange heute die für Claas typische grüne Farbe. Foto: C. Borgmeier

Ein Drittel der 27 000 deutschen Firmen, die sich in Frankreich engagieren, kommt aus Nordrhein-Westfalen. Aus OWL produzieren, im- oder exportieren 800 Unternehmen im Nachbarland. Gemeinsam erwirtschaften beide Staaten die Hälfte des Inlandsprodukts der elf Euro-Länder.
Clara Gaymard, Sonderbeauftragte der französischen Regierung für internationale Investitionen, nannte gestern den guten Ausbildungsstand, die geringe Zahl an Streikausfalltagen und das im Vergleich mit anderen westlichen Ländern niedrigere Kostenniveau als Hauptargumente für die ausländische Wirtschaft, sich in Frankreich zu engagieren. Das Land ziehe seit drei Jahren nach den USA und China weltweit die meisten ausländischen Direktinvestitionen an.
Heinrich Lieser, Hauptgeschäftsführer der vor 50 Jahren gegründeten Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer, nannte die fehlenden Sprachkenntnisse als zunehmendes Problem in den Beziehungen zwischen beiden Staaten - eine Einschätzung, die offenbar von den meisten Gästen der Eröffnungsfeier geteilt wurde. In den vergangenen Jahren habe Spanisch, das in dem Ruf stehe, leichter erlernbar zu sein, den beiden Sprachen bei der Jugend den Rang abgelaufen. Diese Entwicklung müsse wieder umgedreht werden. Obwohl sich Frankreich und Deutschland so nahe stünden, lauerten im Alltag viele Fallen. So nehme das Zwischenmenschliche in den Geschäftsbeziehungen jenseits des Rheins einen viel größeren Raum in den Geschäftsbeziehungen ein. Ein gemeinsames Mittagessen sei alles andere als Zeitverschwendung. Einen Unterschied sieht Lieser auch in dem stärker hierarchischen Denken der Franzosen. Wo deutsche Manager gern Verantwortung delegierten, entscheide der französische Patron lieber alleine.
Aus dem Alltag eines Unternehmens, in dem jeder Dritte seinen Gegenüber mit »Bonjour« statt »Guten Tag« begrüßt, berichtete Rüdiger Günther, Sprecher der Geschäftsleitung des Harsewinkler Landmaschinen-Herstellers Claas. Schon in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts habe das Familienunternehmen begonnen, Mädrescher nach Frankreich zu liefern. In den fünfziger Jahren ging das erste Claas-Pressenwerk in Metz in die Produktion.
Der größte Schritt liegt jedoch gerade erst zwei Jahre zurück. Helmut Claas, als junger Mann selbst Student in Frankreich und heute Vorsitzender des Claas-Gesellschafterausschusses, unterzeichnete damals in Paris den Kaufvertrag für die Renault-Traktorenproduktion. Inzwischen sei die Integration schon weit vorangeschritten. Ein Wett-Segeltörn im Mittelmeer habe die gemischtsprachigen Crews ebenso zusammengeschweißt wie die Anforderungen und Erfolge im Alltagsgeschäft. Beide Seiten profitierten von dieser »Entente Cordiale«. Günther zufolge stieg die Traktorenproduktion bei Renault im vergangenen Jahr um 18 Prozent.
Frankreichs Botschafter in Berlin, Pierre Martin, wollte das »Nein« seiner Landsleute zur EU-Verfassung nicht als Absage an Europa gewertet wissen. Ursache sei vielmehr auch in Frankreich eine verbreitete Angst vor den Folgen der Globalisierung. Darauf müssten die Politiker beider Staaten eine Antwort finden -Êund im übrigen die EU »ändern, entwickeln und retten«.
Die Frankreich-Woche setzt sich heute in Bielefeld mit Erfahrungsberichten aus der Praxis fort.
www.ostwestfalen-meets.com

Artikel vom 07.06.2005