08.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Gegen den Eintopf
des Neoliberalismus«

Oskar Lafontaine liest für eine »Politik für alle«


Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Oskar Lafontaine (61) teilt seine Zeit minutengenau ein. »Zuerst lese ich eine Stunde, dann können wir eine knappe Stunde diskutieren«, kündigte er gestern in der »Boulevard«-Buchhandlung an. 150 Interessenten waren gekommen, um den Ex-SPD-Chef zu erleben: ausverkauftes Haus. Lafontaine behauptete: »Ich bin in der Fußgängerzone angesprochen worden, ob es nicht noch Tickets gibt, aber ich weiß aus meiner Zeit als Saarbrücker Oberbürgermeister, was die feuerpolizeilichen Vorschriften besagen.« Allerdings - und da kam der kleine Seitenhieb - »Saarbrücken liegt an der französischen Grenze, da werden Vorschriften großzügiger ausgelegt, da sind wir nicht so preußisch wie hier.«
Nach der Lesung werde er nach Hause fahren: »Das sind genau vier Stunden.« Vorher aber polemisierte »Oskar«, was das Zeug hielt. Das Nein der Franzosen und der Niederländer zur EU-Verfassung tat er kurz ab: »Ein Vertragssammelsurium, eine 500-Seiten-Schwarte, dazu kann man nur nein sagen. In Deutschland hat man ja über die Köpfe der Bevölkerung hinweg zugestimmt.« Lafontaine präsentiert dafür seine Erklärung: »Hier misstraut das Volk nicht nur den Regierenden, die Regierenden misstrauen auch dem Volk.« Er habe in Paris für das »Non« geworben, aus seiner Sicht mit Erfolg, denn: »Das Volk dort hat sich die Politik wieder angeeignet.« Sein Buch »Politik für alle« habe er »gegen den Eintopf des Neoliberalismus« geschrieben, und falls es Neuwahlen gebe, werde sich, so Lafontaine, »nichts ändern - allenfalls die Frisur«. Es sei schließlich egal, wer die Mehrwertsteuer erhöhe und die sozialen Leistungen kürze. Überhaupt: »Die Programme der beiden Anti-Volksparteien werden sowieso von der Wirtschaft gemacht.« Dagegen habe er schon »als Jungsozialist gekämpft - das ist lange her«. Auch Diskussionen seien im Grunde unnütz, gibt sich Lafontaine überzeugt: »Die sind nur dazu da, um das Volk zu beruhigen.« Seite Politik

Artikel vom 08.06.2005