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Mutter steht
vor Gericht

Den eigenen kleinen Sohn erstickt?

Von Uwe Koch und
Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). Ihre Geschwister sind drogen- oder alkoholabhängig, ein Bruder beging Selbstmord, ein anderer Bruder ist wegen Mordes verurteilt: Vor dem Bielefelder Schwurgericht sitzt seit gestern die 23-jährige Simone K. auf der Anklagebank. Die junge Frau soll ihren 22 Monate alten Sohn erstickt haben.

Die desolate Familiengeschichte der Sippe K. erregte im Sommer des vergangenen Jahres die Gemüter: Zunächst brannte am 20. Juli 2004 das ohnehin schon baufällige Wohnhaus der Familie inmitten eines Industriegebietes im Bielefelder Stadtteil Hillegossen unter mysteriösen Umständen ab. Angeblich hatte ein kleiner Neffe der jetzigen Angeklagten Simone K. gezündelt. Der Fall wurde nie geklärt.
Wenige Tage, nachdem die Großfamilie - Großeltern, zwei Elternpaare und deren insgesamt sieben Kleinkinder - in Wohnwagen neben der Brandruine untergekommen waren, erlitt der jüngste Sohn von Simone K. einen Atemstillstand. Der kleine Meikel (heute 20 Monate jung) konnte gerettet werden. Für seinen Bruder Manuel (damals 22 Monate) kam am 27. Juli 2004 jede ärztliche Hilfe zu spät. Der Junge starb in der Bielefelder Kinderklinik, nachdem ihn Mutter Simone ebenfalls mit einem Atemstillstand in seinem Bettchen gefunden hatte.
Gerichtsmediziner der Universität Münster stellten Monate später unzweifelhaft Erstickungssymptome fest, Simone K. ging in Untersuchungshaft und Staatsanwalt Christoph Mackel verlas gestern gegen die Frau eine Anklage wegen Totschlags.
Verteidiger Detlev Binder wies die Vorwürfe gegen seine Mandantin nun als absurd zurück. »Das ganze Umfeld ist auffällig«, sagte der Bielefelder Rechtsanwalt. Von sechs Geschwistern der Angeklagten sei einer geistig behindert, ein Junge habe sich mit dem Pflanzengift E 605 das Leben genommen. Zwei Schwestern hätten eine Drogenkarriere hinter sich, ein Geschwisterkind sei kurz nach der Geburt von den Eltern weggeben worden. Ein Bruder war 1998 vom Landgericht Bielefeld wegen Mordes zu neun Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Mit Komplizen hatte er habgierig eine alte Bäuerin geötet.
Der Ehemann seiner Mandantin stehe unter Betreuung, und die werde ausgerechnet von den Eltern von Simone K. versehen, die alle ihre Kinder körperlich misshandelt hätten. Im übrigen habe Ehemann Dirk K. mehrfach zugegeben, seine Kleinkinder auch schon mal fallen gelassen zu haben. Ein Psychologe berichtete am ersten Verhandlungstag als Zeuge von unhaltbaren Zuständen im später abgebrannten Haus der Familie K. Es habe dort »nach Katzen, Hunden und Vögeln gestunken«, statt richtiger Türen seien die Zimmer mit Drahtverschlägen abgetrennt gewesen. Der Prozess wird fortgesetzt.

Artikel vom 07.06.2005