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In einem Jahr beginnt in Deutschland die Fußballweltmeisterschaft.Erst Schillerjahr, dann Weltmeister
Fußball
philosophisch
Von Matthias Meyer zur Heyde

»Und morgens schießt aus der Dusche . . ./Wasser, was sonst? Rot und Blau/steht auf den Hähnen für Heiß und Kalt.« So beginnt die »Schädelbasislektion«, Durs Grünbeins Orientierungshilfe für Kopf- und Fußballer. Horst Hrubeschs erste Schädelbasislektion lautet: »Augen auf beien Kopfball! Denn wasse nich siehs, kannze nich reintun.«
So. Damit hätten wir Kultur und Sport elegant verknüpft. Doch nun zu etwas ganz anderem.
Immer wenn der Kaiser anordnet, dass Deutschland Fußballweltmeister wird, tritt ein Kollege aus der Sportredaktion an meinen Schreibtisch und sagt, Matze, sagt er, schreib doch mal was über die WM. Was Positives. Möglichst irgendwas mit Kultur. Weil, ich hab gehört, wir haben Schillerjahr.
Okay. Schillerjahr ist zwar jetzt, und Weltmeister werden wir, wie gesagt, erst am 9. Juli 2006, aber die Steilvorlage liefert trotzdem Goethes alter Co-Trainer, der den Schweizer Weltklasseschützen Willi Tell nach Weimar holte und seine erste Trainingseinheit in Jena mit der Frage eröffnete: »Was ist und zu welchem Ende studiert man das 4-4-2-System?« Zur Mannschaftsaufstellung teilte er mit, dass der Mensch nur dort spielt, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er sei nur da ganz Mensch, wo er spiele.
Dem widerspricht Horst R. Schmidt: »Eine Fußball-WM ist kein Spiel«, sagt der Vizepräsident des WM-Organisationskomitees. Ein deutscher Funktionär ist vertraglich dazu verpflichtet, alles Spielerische zu leugnen.
Nun dreht sich die Welt aber nicht um den deutschen Funktionär, sondern um den Anstoßkreis. Tsu Kü, altchinesisch für Bolzen, ergötzte schon die alten Chinesen, denn wie schrieb der Philosoph Li Yu? Er schrieb: »Yin muss ins Yang.« Der, ähem, Ball muss ins, räusper, Tor. So war es bereits schöner Brauch, als die Kaiser noch Wudi (141-87 v.Chr.) und Ruzi (7-9 n.Chr.) hießen und als beim Hereintrippeln des Herrschers in die VIP-Lounge der Hofstaat sang, es gibt nur ein Wudi Kaiser, ein Wudi Ka-hai-sa, und sich alle fleuten und Leis ins Volk walfen.
Schon fast genauso lange, seit Gründonnerstag des Jahres 33, ruft das Volk Israel »Hosianna!«, obwohl noch gar nicht klar ist, ob sich das Volk Israel überhaupt qualifiziert. Aber Jahwe hat es gefallen, sein Volk momentan hinter der Schweiz auf Platz zwei in der Quali-Gruppe 4 zu plazieren, und da klingen Hosianna-Rufe durchaus angemessen.
Schlagen wir nun über den Hooligan Shakespeare (»Hin und zurück nach Lust tritt mich ein jeder!/Soll das noch lange währ'n, so näht mich erst in Leder!«) den Bogen in die Jetztzeit, dann landen wir bei Tante Jolesch, alias Friedrich Torberg, die/der den wartenden Sportreportern mitteilt, Fußballspieler hätten Geist in den Beinen: »Es fällt ihnen, im Laufen, eine Menge Überraschendes ein.«
Lassen Sie sich also überraschen im nächsten Jahr, dem Jahr, in dem wir Weltmeister werden. Blättern Sie wieder auf diese Seite, wenn Sie Oliver Kahn fragen hören: »Durs, sachma, was kommt jetz aus dem roten Hahn?«

Artikel vom 09.06.2005