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Chirurg überfährt mit
1,77 Promille Rotlicht

Ex-Gilead-Arzt soll wegen fahrlässiger Tötung in Haft


Von Uwe Koch
Bielefeld (WB). Ein alkoholisierter Mediziner, der mit überhöhtem Tempo eine rote Ampel überfährt und eine Frau (71) tötet: Das ist kein Filmdrehbuch, es ist in Bielefeld passiert. Das Amtsgericht verurteilte am Montag den gebürtigen Polen Marek N. (51) deshalb zu eineinhalb Jahre Haft - ohne Bewährung. Amtsrichterin Ingrid Maatmann ordnete zudem 34 Monate Sperre für die Fahrerlaubnis an.
Der Angeklagte ließ gestern über seinen Verteidiger Dr. Lutz Klose ein erschütterndes Geständnis ablegen: Seit 15 Jahren sei der Mediziner alkoholkrank. Mehrmals habe er sich Entgiftungen unterzogen, habe sich sogar in Langzeittherapien begeben. Alles vergebens. Statt dessen ließ Marek N. auch seinen neuen Arbeitgeber über seine Sucht im Unklaren, als er im Dezember 2003 eine Anstellung als Chirurg in Gilead I erhielt.
Am Morgen des 17. April 2004 musste Marek N. seinen Dienst um 9 Uhr antreten. Er hatte sich schon einige Minuten verspätet, als er mit seinem Alfa Romeo 166 (2,5 Liter-Maschine, V 6-Motor) die Artur-Ladebeck-Straße stadteinwärts raste. Mit mindestens 95 Stundenkilometern und 1,77 Promille Blutalkohol, so errechnete später Gutachter Wolfgang Büren, wollte N. die Kreuzung mit dem Eggeweg queren.
Exakt um 9.04 Uhr und 36 Sekunden wollte Rentner Karl W. (75) vom Eggeweg nach links in Richtung Brackwede abbiegen. Mit voller Wucht knallte der Alfa Romeo in den VW Golf des Pensionärs. Der Golf schleuderte stadteinwärts, der Wagen des Arztes kollidierte noch mit den Begrenzungsmauern der Stadtbahnhaltestelle. N., W. und seine 71-jährige Ehefrau Martha W. wurden schwer verletzt in Krankenhäuser gebracht. Für die Beifahrerin kam jede Hilfe zu spät. Sie starb Tage später. Rentner Karl W. erlitt Kopfverletzungen. Er wurde bisher viermal operiert und leidet immer noch unter den massiven Folgen des grauenhaften Unfalls.
Der Sachverständige hielt dem angeklagten Arzt gestern exakt sein Fehlverhalten vor. Weil zu jener Zeit dort für ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr die Lichtzeichen freigeschaltet worden war, wurden die Schaltungen später gespeichert. Als eine nachfolgende Stadtbahn stadteinwärts Grünlicht erhalten hatte, war die fürchterliche Kollision passiert - viereinhalb Minuten nach 9 Uhr. Mehr noch: Der Alfa Romeo war 24 Sekunden nach Beginn der Rotphase für die Artur-Ladebeck-Straße in die Kreuzung gebrettert.
Die Klinikleitung Gilead hatte dem Mediziner unmittelbar nach ersten belastenden Ermittlungen gekündigt. Die Zulassung als Arzt hat Marek N. zudem verloren. Gestern rechneten ihm Juristen seine unfassbare Schuld vor. Selbst eine Rotlichtfahrt wäre folgenlos geblieben, wenn Marek N. denn das vorgeschriebene Tempo von 50 Stundenkilometern auf der Artur-Ladebeck-Straße eingehalten hätte.
Das Bemühen des Verteidigers um eine Bewährungschance blieb ohne Erfolg. Amtsrichterin Maatmann hielt eineinhalb Jahre Haft angesichts des hohen Grades an Fahrlässigkeit für unabdingbar (die Vertreterin der Staatsanwaltschaft - »Er war eine Zeitbombe« - hatte sogar zwei Jahre Haft gefordert); für fahrlässige Tötung und Straßenverkehrsgefährdung infolge von Trunkenheit im Straßenverkehr. Obendrein verhängte sie als Maßregel eine Sperre zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von insgesamt zwei Jahren und zehn Monaten.

Artikel vom 07.06.2005