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Briten bremsen Europa

Referendum: Regierung Blair will weitere Entwicklung abwarten

London (dpa). Die britische Regierung hat die geplante Volksabstimmung über die EU-Verfassung auf Eis gelegt. Nach der klaren Ablehnung in Frankreich und den Niederlanden verschob London gestern das ursprünglich im nächsten Frühjahr vorgesehene Referendum auf unbestimmte Zeit.

»Wir leben in einer Zeit der Ungewissheit, und ehe wir weitermachen, wollen wir Gewissheit haben«, sagte ein Sprecher von Premierminister Tony Blair.
Die übrigen sechs EU-Länder, in denen die Bürger bis Ende 2006 über die europäische Verfassung abstimmen sollen, wollen zumindest vorerst daran festhalten. Das wurde gestern in Dänemark, Irland, Luxemburg, Polen, Portugal und Tschechien bekräftigt. Mit Spannung wird nun erwartet, ob die Staats- und Regierungschef der Union bei ihrem Gipfel am 16./17. Juni in Brüssel einen Ausweg finden können.
Der britische Außenminister Jack Straw unterrichtete das Parlament in London von der Absicht der Regierung, zunächst kein Referendum abzuhalten. Die zweite Lesung des Gesetzentwurfs, der den Weg für die Abstimmung ebnen sollte, werde verschoben, sagte er.
Nach den negativ verlaufenen Volksbefragungen der jüngsten Zeit sei es vernünftiger, weitere Debatten und Entscheidungen auf EU-Ebene über die künftige Entwicklung in der Union abzuwarten, betonte Straw.
Der französische Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder hatten am Wochenende ihre Kollegen in den übrigen EU-Ländern aufgerufen, den Ratifizierungsprozess weiterzuführen. Die Entscheidung der Regierung in London hatte sich jedoch nach den Abstimmungen am Sonntag voriger Woche in Frankreich und am vergangenen Mittwoch in den Niederlanden schon abgezeichnet.
Die konservative britische Opposition lehnt die EU-Verfassung ab, hat aber Pläne für ein Referendum unterstützt. Sprecher der Konservativen riefen die Regierung auf, die Entscheidung über das europäische Grundgesetz nicht nur zu verschieben, sondern völlig aufzugeben und dies auch klar zu sagen.
Auch der prominenteste Europa-Befürworter bei den Konservativen, Ex-Finanzminister Kenneth Clarke, erklärte: »Nach den beiden Referenden ist die Verfassung gescheitert. Die Leute würden uns für verrückt halten, wenn wir zu diesem Thema jetzt doch noch ein Referendum abhielten.«
Als nächstes EU-Land stimmt Luxemburg bei einem Referendum am 10. Juli über die Verfassung ab. Innerhalb der vergangenen vier Wochen hat sich die Stimmung dort dramatisch gewandelt. Umfragen zufolge ist der Anteil der Nein-Sager von 24 auf 41 Prozent nach oben geschnellt.
In Polen soll das Referendum wie geplant am 9. Oktober zusammen mit den Präsidentenwahlen stattfinden. Das betonte Außenminister Daniel Adam Rotfeld gestern nach einem Treffen von Vertretern der Regierung, des Parlaments und der Parteien bei Staatspräsident Aleksander Kwasniewski. Alle Teilnehmer des Treffens seien der Meinung, dass nur so die für ein gültiges Referendum nötige Beteiligung von mindestens 50 Prozent zu erreichen sei.
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Artikel vom 07.06.2005