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Das Dilemma des
Kickers vor dem Tor

Denken lähmt, Handeln macht gewissenlos

Bielefeld (WB/sas). Der Angreifer stürmt mit dem Ball vor das Tor. Sein Mitspieler rechts von ihm ist in der besseren Position. Trotzdem schießt er selbst - daneben. Eigensinn? Egoismus? Dummheit? »Nein. Vielmehr das Ergebnis eines Dilemmas, das die Psychologie kennt«, sagt Junior-Prof. Dr. Oliver Höner. Und er rät, spielorientierter zu trainieren.

Höner, Professor in Mainz, hat seine Dissertation an der Universität Bielefeld über das Entscheidungshandeln im Sport geschrieben. Das Dilemma des Fußballers vor dem Tor bringt er auf die kurze Formel: »Denken lähmt. Und Handeln macht gewissenlos.«
Höner, der selbst die 1. Mannschaft des SC Herford zu Verbandsliga-Zeiten trainiert hat, beschreibt den Konflikt zwischen der abwägenden und der planenden kognitiven Orientierung: Im ersten Fall werden Handlungsmöglichkeiten erwogen und viele Informationen aufgenommen; im letzteren fällt früh die Entscheidung für ein Vorgehen - in diesem Fall zum Beispiel für das Stürmen zum Tor und den eigenen Torschuss. Hat ein Fußballer sich dafür entschieden, also quasi »den Rubikon überschritten«, wie die Handlungspsychologie es nennt, blendet er Handlungsalternativen aus: Sie würden ihn nur lähmen. »Da sich im Fußball aber die Situation in Sekunden ändert, kann sich die getroffene Entscheidung als falsch erweisen.«
Mit Eigensinn hat das nichts zu tun: Der Stürmer kann den Nebenmann nicht sehen, die Konzentration auf die Aktion hat die Aufnahmebereitschaft schlicht eingeschränkt, wie Höner in einer Laborstudie mit 65 DFB-Jugendnationalspielern nachwies.
Daraus folgt für ihn, dass ein Training nicht stumpf auf Schnelligkeit, Ausdauer und körperliche Beweglichkeit ausgerichtet sein sollte: »Spielen lernt man durch Spielen.« Nur in der Konfrontation mit immer wieder anderen Spielsituationen, die eine Entscheidung fordern, so Höner, lernt der Kicker auch die nötige geistige Beweglichkeit. »Kognitive Fähigkeiten sollten geschult werden.«

Artikel vom 09.06.2005