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Leitartikel
Schröder gibt nicht den Dali

Machtkalkül
und »toller«
Stempel


Von Rolf Dressler
Schon von Natur aus ist Gerhard Schröder weder Phantast noch Surrealist. Insoweit reicht der deutsche Gegenwartskanzler an begnadete Welt-Großmeister dieses Faches wie etwa Salvador Dali auch nicht annähernd heran - und danach strebt er auch gar nicht.
Nein, Gerhard Schröders Begabungen und Fertigkeiten liegen anderswo. Also spielt er sie aus, wann und wo immer seine speziellen Darstellungs- und Verwandlungskünste gefragt und gefordert sind. Auf dem Theater würde man sagen: Schröder gibt Schröder. Denn Gerhard Schröder inszeniert sich vorzugsweise selbst.
Das ganz persönliche Nahziel fest im Blick lässt ein typischer Machtmensch wie er gegebenenfalls - genau wie in diesen auf- regenden Deutschland-Tagen - selbst enge Mitstreiter oder sogar die eigene Partei links und rechts des Weges stehen. Denn offenbar sehr plastisch schwant dem Sozialdemokraten, dass er letztlich nur noch eine einzige, freilich kleine Chance hätte, ein drittes Mal wie- dergewählt zu werden: Er müsste sich blitzartig noch einmal völlig neu erfinden und sich von der ei- genen, an Volten reichen Amtsvergangenheit ebenso rigoros befreien wie von der SPD, die ihm auf diesem Höllenritt weder folgen will noch kann. Damit, so meint der Politikwissenschaftler Tobias Dörr, könne Schröder als Überraschungs-»Agent des dynamischen Wandels« auftreten, vorbei an den Beharrern und Zauderern aller Parteifarben, sogar der eigenen, der SPD.
Ein auf »Ich oder sie« total personalisierter Wahlkampf in Augenhöhe mit Angela Merkel, der aussichtsreichen Konkurrentin von der CDU - Schröder wäre nicht Schröder, würde ihn nicht schon die bloße Vorstellung elektrisieren.
Hat der Kanzler aber womöglich schon übertaktiert? Offenbar ganz gezielt indiskret wird nun streng Vertrauliches aus jenem Gespräch gestreut, in welchem Gerhard Schröder dem Bundespräsidenten im Alleingang eröffnete, dass er schnellstmöglich vorzeitige Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeiführen - im Klartext: herbeizwingen - wolle.
Die mitgereichte Begründung ist nichts für Feinschmecker. Oder vielleicht doch: Das »Erpressungspotential« in der eigenen SPD-Fraktion und in der rot-grünen Regierungskoalition werde ihm dramatisch unerträglich.
Man mag das für Harakiri halten. Aber feingeistig vor- und fürsorglich versicherte Gerhard Schröder dem Präsidenten und nun auch dem Publikum schon mal, dass er seine Kanzler-Dienste für das deutsche Volk selbstverständlich getreu weiter versehen werde, sollte der Herr Bundespräsident wegen verfassungsrechtlicher Grundbedenken den Bundestag nicht auflösen.
Gänzlich auszuschließen ist dies zwar durchaus nicht. Denn CDU-Altpolitiker Rainer Barzel steht keineswegs allein mit seiner wohlbegründeten Einschätzung, dass Schröders Ansinnen »den Stempel der Tollheit trägt«.
Nur: An Rücktritt aus freien Stü- cken denkt Gerhard Schröder bis- lang noch ganz und gar nicht.

Artikel vom 06.06.2005