04.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Familienanschluss statt Heimplatz

In Westfalen-Lippe leben schon 150 Behinderte in Gast-Haushalten

Von Josef Bilyj
Petershagen (WB). Jürgen Weper (37) steigt vom Traktor und freut sich auf den Feierabend. Er arbeitet auf dem Hof Klanhorst, einem Bio-Bauernhof für behinderte Menschen im Kreis Minden-Lübbecke.
Der lernbehinderte Jürgen Weper (l.) lebt bei Sabine und Thomas Vorpahl in Petershagen-Frille. Eine Wohnform, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Alternative zum Leben im Heim anbietet. Foto: Bilyj
Doch anders als die meisten seiner Kollegen wohnt der lernbehinderte Mann nicht auf dem Hof, den das Diakonische Werk betreibt, sondern 15 Kilometer entfernt bei Familie Vorpahl in Petershagen-Frille (Kreis Minden-Lübbecke).
Für Jürgen Weper ging mit dem Umzug auf das Anwesen seiner Gastfamilie ein Traum in Erfüllung. »Hier habe ich mein Reich, mein Zimmer, in dem mich niemand stört. Vorher habe ich auf dem Hof Klanhorst nicht nur gearbeitet, sondern auch mit anderen gewohnt. Das war nicht das Richtige für mich.«
Vor zwei Jahren entschlossen sich Sabine (42) und Thomas Vorpahl (41), einen behinderten Menschen in ihr Haus aufzunehmen. Seitdem sind das Ehepaar und seine 15-jährige Tochter eine von 150 Gastfamilien in Westfalen-Lippe, die in das Konzept der Familienpflege des Landschaftsverbandes eingebunden sind . Eine Wohnform, die der Träger seit 2003 als Alternative zum Leben im Heim für behinderte Menschen flächendeckend anbietet. Gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden will der LWL noch mehr Familien dafür interessieren, Behinderte aufzunehmen.
»Für behinderte Menschen bedeutet die Familienpflege ein Stück mehr Integration«, begründet Thomas Profazi vom Landschaftsverband den Vorstoß. Er schätzt, dass langfristig mehrere hundert Gastfamilien zu einem neuen Zuhause für Behinderte werden könnten. In Westfalen - Lippe leben nach seinen Angaben 25 000 Behinderte.
Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass sowohl die Behinderten als auch die aufnehmenden Familien die neue Wohnform als Gewinn betrachteten, sagte Profazi. Wichtig sei eine kontinuierliche Begleitung durch eine Team von professionellen Betreuern, die auch bei Problemen oder Krisen sofort helfen. Auch bei der Familie Vorpahl schaut regelmäßig eine Betreuerin vorbei.
»Den passenden Klienten zur passenden Familie zu finden - das ist nicht so einfach«, weiß Elke Lamottke von der Arbeiterwohlfahrt Ostwestfalen-Lippe, die Jürgen Weper betreut.
Die Betreuung in der Familie statt im Heim hat auch einen finanziellen Aspekt. Nach Berechnungen des Landschaftsverbandes kostet die Familienpflege den LWL weniger als die Unterbringung im Heim. So schlage die Versorgung eines Menschen, der tagsüber ein Werkstatt für Behinderte besuche und abends in seine Gastfamilie zurückkehre, mit 2000 Euro pro Monat zu Buche. Darin ist ein Betreuungsgeld zwischen 240 bis 360 Euro enthalten, das die Gastfamilien bekommen. 3500 Euro dagegen wären im Vergleich für den selben Menschen als Heimbewohner zu zahlen.
Interessierte Familien können sich unter 0251/5 91 67 15 informieren.

Artikel vom 04.06.2005