04.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Im Evangelium für den morgigen Sonntag (Lukas 14, 16-24) erzählt Jesus von einem festlichen Abendessen, dessen Gäste sich allesamt in letzter Minute entschuldigen lassen. Drei Begründungen werden beispielhaft herausgegriffen: Einer hat ein Grundstück erworben und muß es besichtigen. Ein anderer hat einen Viehhandel getätigt und muß die Tiere prüfen. Ein dritter hat gerade erst geheiratet und meint, deswegen die Einladung ausschlagen zu dürfen.
Es handelt sich vielleicht nicht einfach um faule Ausreden, eher um die fleißigen Einwände. Zunächst ruft anderswo die Pflicht und duldet keinen Aufschub. Doch der Gastgeber hat dafür nicht das geringste Verständnis. Er fühlt sich brüskiert und empfindet es als einen ungeheuerlichen Affront und als nicht wieder gut zu machende Beleidigung.
Das Gleichnis gibt an dieser Stelle eine Antwort auf die Frage, wodurch der Glaube in einem Menschen geradezu ersticken muß. Er verkümmert daran und wird vielleicht sogar einmal daran sterben, daß Menschen sich einbilden, auf das, was sie selber tun, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und ihre Existenz abzusichern, käme es im Grunde sehr viel mehr an als auf das, was sie aus Gottes Hand empfangen.
Wer aber sein Leben und alles, was dazugehört, nicht mehr in erster Linie als Geschenk verstehen kann, der muß mit unerbittlicher Konsequenz sich alles selber verschaffen, ohne Dankbarkeit im Herzen und vielleicht immer mit dem unguten Gefühl, es sei zu wenig, was ihm zuteil wird.
Daraus bildet sich eine Gesellschaft von Unzufriedenen, von Neidern, von Egoisten. Es entsteht ein Gegeneinander, in dem sich Menschen in der Nähe, etwa in ein und demselben Beruf, vor allem als Konkurrenten erfahren und behandeln. Da kommt es bei vielen zum »„Burn-out-Syndrom«. Sie fühlen sich ausgebrannt und erfahren ihre Arbeit nur noch als sinnlos und frustrierend, sind Anstrengungen nicht mehr gewachsen, fühlen sich lustlos und leiden an körperlicher Ermattung. Da kann kein Fest mehr gelingen, da kann aber auch der Alltag nicht mehr gelingen. Denn der Alltag lebt von dem Schein, den das Fest auf ihn wirft.
Fleißige Einwände lassen dem Gastgeber - später »der Herr« genannt - eine belanglose Figur werden und sein Fest zu einer lästigen und langweilenden Verpflichtung, der man sich am liebsten entzieht. Die noch am höflichsten klingende Ausrede heißt: Ich komme später; ich bin momentan anderweitig beschäftigt, ich verfüge derzeit über keine freien Kapazitäten. Aber, um ein klassisch gewordenes Zitat von Michail Gorbatschow zu gebrauchen: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.«
Es gibt verpaßte Gelegenheiten, Augenblicke, die man hätte nutzen müssen, die aber unwiederbringlich verstreichen. Es gibt auch im Glauben Einsichten und Erkenntnisse, die man nicht endlos in die Zeit hineintreiben, in eine unabsehbare Zukunft vertagen darf. Es heißt: »Heute, so ihr seine Stimme hören werdet, so verstocket euere Herzen nicht« (Hebr. 3, 7.8). Daraus folgt: Es steht einem Menschen nicht einfach frei, mit dem Glauben anzufangen, wann er will, oder sich erst dann darüber klar zu werden, worauf es in seinem Leben wesentlich ankommt, wenn er meint, dafür endlich genug Zeit und Muße zu haben. Es gibt vertane Möglichkeiten, die nie wiederkommen.

Artikel vom 04.06.2005