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Ich nehme an, dass Sie seinen Bau in die Wege geleitet haben? Sehr gut!«
Aha. Andresen kam jetzt zur Sache.
»Das war vor meiner Zeit«, murmelte Petersen.
»Leuchttürme haben einen hohen Unterhaltungswert für Binnenländer«, fuhr Andresen fort. »Das Einzige, das sie zu Hause nicht haben können, im Gegensatz zu Dünen und Wasservögeln. Gäste unternehmen ausgesprochen gern Lustfahrten zu solch herausragenden Zielen, um an ihrem Fuß zu picknicken und sich fotografieren zu lassen. Davon könnte man noch mehr gebrauchen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Petersen verdattert.
»Ganz einfach. Ich wünsche mir einen Leuchtturm. Ob auf Nordmarsch, auf Sylt oder Hooge, ist gleichgültig. Hauptsache, Hin- und Rückfahrt von Amrum aus sind an einem Tag möglich.«
»Ich erinnere mich«, flocht der Oberdeichgraf geschickt in Petersens beredte Verblüffung ein, »dass Kapitänleutnant von Frechen, ein sehr rühriges Mitglied in unserer Kommission für Wasserbauangelegenheiten, sich für ein Leuchtfeuer auf Nordmarsch ausgesprochen hat. Unter anderem aus Gründen der Landesverteidigung.«
Hansens Erinnerung war eine ganz andere. Aber ihm wurde immer klarer, dass die beiden Herren einen abgesprochenen Plan verfolgten, und da kam es weniger auf die Wahrheit an.
»Im Augenblick sind wir noch nicht so weit, dass wir zusätzlich ein solches Projekt in Angriff nehmen könnten, Herr Andresen«, wandte Petersen, der sich endlich gefasst hatte, ein.
»Papperlapapp, wie meine deutschen Nachbarn zu sagen pflegen!« Andresen lächelte breit. »Was man will, schafft man auch. Wünschen Sie etwa nicht, dass man den Friesen da draußen mehr deutsche Kultur und Unterhaltung auf ihre armselige Sandinsel bringt?«
Sehr geschickter Schachzug vom Dänen, in Gegenwart eines Preußen mit nationalen Argumenten Druck zu machen. Hansen bekam fast Mitleid mit seinem Vorgesetzten.
»Ich fahre nächste Woche nach Berlin«, verkündete von Holsten aufgeräumt. »Ich könnte mich an der zuständigen Stelle für den Plan verwenden. Sie werden sehen, dass wir die Genehmigung unverzüglich erhalten.«
Petersen presste die Kiefer aufeinander, bis sie knackten.
Hansen hielt den Atem an. Petersen war geborener Nordfriese und nicht auf den Kopf gefallen. Selbstverständlich war er in der Lage, das Zusammenspiel seiner Besucher als Erpressung zu erkennen.
Der Oberbaudirektor räusperte sich. »Ein weiterer Leuchtturm wird die Sicherheit für die Großschifffahrt hier an der Westküste erhöhen, deshalb bin ich einverstanden, mich als Verantwortlicher für dieses Amt für ein Leuchtfeuer zu verwenden. Ich bedinge mir allerdings den Standort Nordmarsch aus. Das ist die einzig sinnvolle Position. Wenn wir den Bau des Leuchtturms mit dem des Steindeiches zusammenlegen, sparen wir obendrein noch Kosten. Die Steinschuten können leicht auch noch Ziegelsteine befördern É«
»Ganz ausgezeichnet«, lobte Andresen. »Wann fangen Sie an?«
Petersen lächelte unverbindlich und blieb ihm die Antwort schuldig. Stattdessen wandte er sich an den Baron. »Wie gesagt, wir befinden uns noch in den Vorgesprächen mit der Halligbevölkerung. Diese führt, entsprechend Ihrem eigenen Wunsch, Inspektor Sönke Hansen. Ich werde ihn also informieren, vor allem im Hinblick auf die Erweiterung der Planung um einen Leuchtturm.«
Baron von Holsten schüttelte herrisch den Kopf. »Ich habe vor, ihn von seinen Pflichten in der Kommission zu entbinden«, bemerkte er verdrießlich. »Er ist ein unmöglicher Mensch!«
»Daran kann ich Sie nicht hindern, Herr Baron«, sagte Petersen glatt. »Als Ersatz für Hansen schlage ich unter diesen Umständen Friedrich Ross vor.«
»Ross?« Der Baron rümpfte die Nase. »Ihm fehlt es an Erfahrung. Außerdem neigt der junge Mann zu unüberlegten Taten.«
»Richtig, er ist ein wenig ungestüm, hat etwas von einem jungen Füllen an sich. Aber meine anderen Mitarbeiter sind im Augenblick unentbehrlich. Dass das Wasserbauamt bei der Halligbevölkerung durch jeden Wechsel, nicht nur zu Ross, vollends die Glaubwürdigkeit verlieren würde, erwähne ich nur nebenher. Jedoch unterliegt diese Entscheidung ihrer Verantwortung.«
In von Holstens Gesicht stieg Röte. »In Gottes und des Kaisers Namen. Hansen, wenn es denn sein muss«, stieß er nach einer Weile mit säuerlicher Miene aus.
Hansen grinste schamlos.
»Dann kann die Planung sofort losgehen«, beantwortete Petersen Andresens Frage.
Dieser nickte, sprang auf und schüttelte dem Oberbaudirektor mit liebenswürdigem Lächeln die Hand, bevor er als Sieger das Zimmer verließ.

»Da sind Sie ja noch einmal davongekommen, Hansen!«
»Ich gebe es zu, Herr Petersen«, murmelte dieser und streckte erleichtert die Beine aus, als die Tür hinter den Besuchern zugefallen war. Es hatte ihm nicht sonderlich geschmeckt, wie ein gejagter Hase in einem Versteck zu klemmen. Aber es war die Sache wert gewesen. »Dafür hat der Baron ja nun eine böse Kröte schlucken müssen.«
Petersen lachte freudlos. »Dass Sie sich selbst als böse Kröte bezeichnen, ist immerhin ein Weg zur Selbsterkenntnis.«
»Na, na«, murrte Hansen mit gespielter Empörung und musste selbst lachen. »Ich gehe dann wohl wieder É«
»Tun Sie das«, gestattete Petersen und widmete sich, noch bevor Hansen ganz zur Tür hinaus war, seiner schriftlichen Arbeit, in der linken Hand schon wieder ein Butterbrot.

»Noch nicht entlassen?« Die spöttische Stimme und ein Schlag auf die Schulter ließen Hansen herumwirbeln.
»Nein, Friedrich«, antwortete er mit aufreizendem Grinsen, »stattdessen habe ich einen erweiterten Auftrag. Und fast schon ein freundschaftliches Verhältnis zu unserem Baron.«
Ross schüttelte belustigt den Kopf. »Wie du das immer machst«, sagte er. »Aber ich gönne es dir. Tüchtigen Leuten kann man keinen Erfolg neiden.«
Er meinte es ehrlich. Hansen sah ihm nach, bis er sich besann und mit den Händen in der Jackentasche zu seinem eigenen Zimmer schlenderte.
Wo ihm sofort der bedrohliche Briefumschlag auf dem Schreibtisch ins Auge fiel. Aber jetzt konnte er Hansen nicht mehr derartig erschrecken. Während er sich setzte, um den Umschlag aufzuschlitzen, dachte er, dass diese dramatische Präsentation nur Ross zuzutrauen war. Vermutlich hatte er nicht einmal darüber nachgedacht, was daraus entstehen konnte.
Er überflog den Brief und begann zu lachen.
Wenige Augenblicke später stand Hansen erneut vor dem Oberbaudirektor und legte ihm wortlos das Schreiben vor.
Petersen rückte seine Brille zurecht und las laut.


Sehr geehrter Herr Sönke Hansen,
Wasserbauinspektor im Wasserbauamt.
Im Auftrage von unserem Ratmann Mumme Ipsen auf Langeness und wegen der Schwäche seiner Augen möchte ich Ihnen mitteilen, dass es vorangeht. Gut die Hälfte der an Weide- und Meedeland berechtigten Einwohner von Nordmarsch hat der Abtretung des Uferstreifens bereits zugestimmt.
Mit höflicher Hochachtung,
Jorke Payens, Nachbarin

Eigene Hinzufügung: Wann kommen Sie wieder her? Ich weiß, dass Mumme Ihre hiesige Arbeit sehr schätzt. Jorke Payens.

Hansen grinste verstohlen. Mumme Ipsen hatte Augen wie ein Adler. Aber sein Vorgesetzter musste ja nicht erfahren, dass ihr zuverlässigster Bündnispartner vielleicht nicht schreiben konnte.
»Wer ist Jorke Payens, Nachbarin? Und warum haben Sie nicht gleich meinen Irrtum berichtigt?«, erkundigte sich Petersen irritiert.
»In dem Augenblick rauschte der Baron gerade zur Tür herein«, schwindelte Hansen.
»So, so.« Petersen sah ihn forschend an. »Und Jorke Payens?«
»Eine mutige und aufrechte Nachbarin von Mumme Ipsen.«
Petersen gab ihm den Brief zurück. »Dass Sie mutige Frauen schätzen, ist bekannt. Dennoch sollten Sie vorsichtig sein, damit es nicht zu viele mutige Bekanntschaften werden.«
Kapitel 16
Wollten Sie nicht zur Hallig Nordmarsch fahren?«, fragte am nächsten Tag Baron von Holsten in einem Ton, der schon fast freundlich war.
Hansen meisterte seine Verblüffung und ergriff die Chance. »Ja, es wäre gut, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist. Noch kennen die Halligleute mein Gesicht.«
»Aber?«
»Ich weiß nicht, ob es Herrn Petersen gelegen kommt, wenn ich schon wieder abreise É«
»Soll ich bei Petersen ein gutes Wort für Sie einlegen?«
Hansen glaubte nicht richtig zu hören. Protektion, und die noch von der falschen Seite! Unter Aufbietung aller Willenskraft überwand er seinen Widerwillen. »Das wäre hilfreich, Herr Baron.«
»Endlich nehmen Sie ein wenig Vernunft an«, bemerkte von Holsten und wanderte mit den Händen auf dem Rücken davon, als wäre er in den Gängen des Wasserbauamtes auf Inspektionstour.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 23.06.2005