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Ich verstehe dein Problem, aber ich möchte dringend mein eigenes lösen und bezahle dafür.«
Statt einer Antwort gab Steffensen ihm die Hand, drückte sie kurz und nickte. »Ich komme gleich zurück.« Er eilte ins Haus, und Hansen wartete.
Sein Schiff läge im Hafen, erzählte Steffensen, als sie am Priel entlang den gleichen Weg einschlugen, den Hansen gerade gekommen war. Hansen erinnerte sich an das zweimastige Boot, das er dort gesehen hatte.
Steffensen sprang an Bord, fuhr das Bugspriet aus, setzte die Fock und zog das Gaffelsegel hoch. Als beide Segel im Wind killten, rief er Hansen an Bord, der den Bug kräftig vom Steg abstieß, die Leine an Deck warf und hinterhersprang.
Das Großsegel fing den Wind ein, und sie trieben langsam herum, bis das Bugspriet auf das offene Meer zeigte. Steffensen stand am Ruder und fuhr das Großsegel aus der Hand. Ohne Anweisung suchte sich Hansen unter den auf dem Seitendeck ausgestreckten Tauen die Fockschot, und das Schiff wurde sofort schneller, als sich das Vorsegel blähte.
Steffensen nickte ihm schweigsam zu und steuerte ins freie Wasser hinaus, wo er Kurs auf die Westspitze von Nordmarsch nahm.
»Dies ist eine Quatsche, oder?«, fragte Hansen und belegte das Tau des Vorsegels.
Steffensen, der inzwischen das Großsegel richtig getrimmt hatte, nickte. Er lehnte mit verschränkten Armen an der Pinne, lugte wachsam über das Deckshaus hinweg und steuerte mit der Hüfte.
»Nummen von Mayenswarf erwähnte eine Quatsche auf Hooge, aber nicht seinen Eigner.«
»Guter Mann, Nummen. Erfolgreicher Fischer, als er noch fischte.«
»Wirk, sein Enkel, möchte das Austernboot übernehmen.«
»Die Fischerei mit einem Austernboot hat keine Zukunft«, meinte Steffensen abschätzig. »Die Quatsche ist hervorragend, wenn man beim Fischen langsam vor einem Netz treiben will, und ohne Netz, mit allen Segeln, ist sie schnell wie der Wind. Ich habe mir den Bauplan selber beschafft. Aber noch besser sind motorgetriebene Kutter. Im Süden, in Dithmarschen, gibt es den ersten. In ihnen liegt die Zukunft. Wenn ich könnte, würde ich mir sofort einen zulegen.«
»Ich habe davon gehört«, sagte Hansen, vom Plattdeutschen ins Friesische wechselnd. »Du könntest dir Unterstützung von der preußischen Regierung holen, weißt du das? Du würdest auf offene Ohren stoßen. Die zuständigen Beamten beklagen, dass gerade die Nordfriesen sich gegen alle Verbesserungsvorschläge in der Fischerei sperren.«
»Stimmt. Die meisten Halligleute sind sich zu fein für die Fischerei«, gab Steffensen ihm brummig Recht. »Schwärmen immer noch von der guten alten Zeit der Auslandsfahrer und halten Männer wie Nummen und mich für dumm. Dabei war kaum einer von ihnen auf großer Fahrt: das waren vielmehr ihre Großväter. Solche Maulhelden schlagen heutzutage nur noch Pflöcke auf Fennen ein und bedienen die Mistforke.«
Hansen dachte an den Tag zurück, als er Tete Friedrichsen zum ersten Mal begegnet war, und musste lachen.
Steffensen, der inzwischen richtig umgänglich geworden war, grinste mit. »Du wolltest doch etwas über das Schiff auf Schiet wissen?«
Hansen nickte.
»In der Nacht«, erzählte Steffensen, »hatten wir leichten Ostwind. Auch wenn es diesig war, konnte kaum jemand mit Verstand auf die Sände auflaufen, deshalb wunderte ich mich und bin aus Neugier etwas näher herangesegelt. In Not war der ja nicht.«
»Das war gar nicht in der Sturmnacht?«, erkundigte sich Hansen. Seine Erinnerung musste ihm einen Streich gespielt haben.
Steffensens Miene ließ erkennen, dass er dies für eine beschränkte Frage hielt. »Bei Südweststurm bin ich natürlich nicht zum Fischen draußen«, bemerkte er nur. »Selbst wenn es mich draußen erwischt und ich den Hafen nicht erreiche, lege ich mich irgendwo in Leeschutz. Nein, es war zwei Nächte später, von Freitag auf Sonnabend. Kurz vor Niedrigwasser saß er fest, und als ich zurückfuhr, war er anscheinend gerade freigekommen.«
»Und wann war das?«
»Niedrigwasser so um halb neun. Ich war rund zwei Stunden danach unterwegs nach Hause.«
Hansen rechnete nach. »Dann muss er ja etwa vier Stunden festgesessen haben.«
»Kann angehen. Deine Frau wird sich geängstigt haben.«
»Ja, bestimmt«, sagte Hansen etwas hilflos, dem die faule Erklärung längst Leid tat. »Und wo spielte sich das Ganze ab?«
»Zwischen dem See-Sand und dem Schweinsrücken. Ziemlich nah der Bake.«
»Der Schweinsrücken ist der Sand vor Nordmarsch, nicht? Sozusagen die Verlängerung der Hallig.«
»Wohl, wohl.«
»Glaubst du, dass das Schiff in die Süder- oder in die Norder-Aue wollte?«
»Der?« Steffensen lachte sarkastisch. »Ein Tiefwassersegler? Jedenfalls hatte er hohe Masten É« Er verstummte und versank in Nachdenken.
»Was ist? Irgendetwas daran merkwürdig?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Steffensen zweifelnd. »Er war so lang und scharf geschnitten. So einer braucht viel Ballast, um überhaupt stehen zu können, aber obwohl er vorne festsaß, schien er mir sehr rank zu sein. Er war als Dreimaster geriggt. Bei der Länge hätte er eher eine Viermasttakelung haben sollen. Alles in allem sah er aus wie ein umgerüsteter Post- und Passagierdampfer auf weiter Reise. Bis Amrum Hafen oder Wyk kommt der wegen seines Tiefgangs gar nicht in die Aue. Was also macht der so weit binnen?«
»Er könnte einen unerfahrenen Kapitän gehabt haben.«
»Möglich. Oder gar keinen. Vielleicht war es ein Geisterschiff. Hatte keine einzige Laterne an.«
»Das ist doch nicht erlaubt!«
Steffensen drückte die Pinne weit nach Steuerbord, und der Bug der Quatsche schwenkte gehorsam herum. Er zuckte mit den Schultern. »Was erlauben die Preußen schon?«
Hansen schwieg dazu und dachte nach, während er verfolgte, wie Nordmarsch und die Westspitze von Föhr nach achteraus zu wandern begannen. Der Wind hatte abgeflaut, und es war gute Sicht. Der Amrumer Leuchtturm rückte erkennbar näher und würde bald querab liegen.
Im festen Vertrauen darauf, dass alle Schiffe dem Gesetz entsprechend beleuchtet waren, hatten die Leuchtturmwärter ihm erzählt, dass ihnen praktisch kein Schiff entgehen konnte, außer bei unsichtigem Wetter natürlich. Dass es auch Schiffe gab, die illegal ohne Beleuchtung fuhren, hatten sie nicht erwähnt.
»Wie lange braucht, sagen wir, ein toter Seehund von der Bake auf See-Sand, bis er auf Land geworfen wird?«
»Das kommt darauf an, ob er deine zukünftige Frau auf dem Rücken zu schleppen hat oder nicht«, antwortete Steffensen barsch.
Er fühlte sich zu Recht gekränkt. Hansen beschloss, dem Schiffer jetzt reinen Wein einzuschenken. »Meine künftige Frau, die spurlos verschwunden ist und sich vielleicht auf diesem Schiff befand, ist die eine Sache. Die andere ist, dass ich versuche, den Tod eines Unbekannten aufzuklären, der der Hallig Langeness-Nordmarsch angelastet wird. Ein wild gewordener Zeitungsschreiber von Föhr hat so viel Böses über die Hallig geschrieben, dass ein schon angemeldeter Badegast abgesagt hat. Da sind einige Hoffnungen auf künftige Logiergäste zerstört worden É«
»Und was hat das mit dir zu tun, Hansen?«
»Ich bin zufällig in die Geschichte hineingeraten, genau wie die Hallig. Und da meine Verlobte mit all dem auch noch zu tun hat, will ich wissen, was wirklich geschehen ist und warum. Das bin ich meiner Verlobten, der Hallig und mir selber schuldig.«
»Das ist in Ordnung.«
»Und wie lange braucht nun der Seehund?«, fragte Hansen erleichtert.
»Es sind ungefähr sieben oder höchstens acht Seemeilen nach Nordmarsch. Wenn der Flutstrom mit drei Knoten setzt, zwei oder drei Stunden.«
»Wieso hat er dann erst am Sonntag dort gelegen und nicht schon am Sonnabend?«
»Weil er vielleicht mit dem Schiff gar nichts zu tun hat. Oder aus einem anderen Grund. Die Strömung geht sowieso nicht so, wie jeder Lehrer es aus einem Buch herauslesen könnte. Da muss man schon genau Bescheid wissen. Übernimm du mal das Ruder, ich will das Heckspriet setzen, damit ich fischen kann. Mein Junge ist krank, aber du bist ja ganzanstellig É«
»Ich soll das Ruder übernehmen?«, fragte Hansen überrascht und ein wenig geschmeichelt angesichts der vielen Stangen, die auf dem Vordeck und auf dem Seitendeck festgebunden waren und nur darauf warteten, benutzt zu werden. »Ein solches Boot habe ich noch nie gesteuert É«
»Ein Friese sollte mit allen Booten klarkommen É«
Hansen nickte und baute sich breitbeinig neben der Pinne auf, denn der Schwell einer hereinlaufenden Altwelle begann die Süder-Aue unruhig zu machen. Er behielt den Fischer im Auge, der auf das Vordeck lief und den Klüver setzte. Die Quatsche lag jetzt insgesamt besser auf dem Ruder.
Nachdem auch der Besan stand, begann Steffensen das Schleppnetz klar zu machen, das zwischen Bugspriet und Heckspriet gefahren wurde. Hansen atmete insgeheim aus, als er ihm das Ruder wieder übergeben durfte und die Verantwortung los war.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 14.06.2005