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Signale aus NRW an Berlin

Vor allem für die SPD-Bundestagsabgeordneten wird es eng

Von Reinhard Brockmann
Düsseldorf/ Berlin (WB). Das Stühlerücken im Landtag kostet 40 000 Euro, die Neuwahl im Bund bis zu 100 SPD-Abgeordnete die Karriere.
Stühlerücken im Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags. 44 Plätze weniger werden benötigt, wenn sich das Landesparlament am kommenden Mittwoch neu konstituiert. Foto: Reinhard Brockmann

Um 44 Plätze ausgedünnt wird gerade der kreisrunde Plenarsaal in Düsseldorf. Bis Mittwoch 15 Uhr richten Handwerker die neue Sitzordnung für dann nur noch 187 Abgeordnete ein.
Noch-Landtagspräsident Ulrich Schmidt (SPD) wird die Wahl seiner Nachfolgerin aus Reihen der CDU leiten. Soviel ist klar, die stärkste Fraktion möchte eine Frau an der Spitze des Parlaments sehen. Die Gütersloher Abgeordnete Ursula Doppmeier, deren Name bereits neben anderen genannt wird, bleibt realistisch: »Wir sind elf Frauen in der Fraktion, jede kommt damit in Frage«. Als Vize-Präsidenten werden der bisherige Minister Michael Vesper (Grüne/Bielefeld), Ex-SPD-Fraktionschef Edgar Moron und Jan Söffing für die FDP kandidieren.
Alle 78 neuen Abgeordneten der 14. Wahlperiode werden am Mittwoch von Schmidt einzeln aufgerufen und gemeinsam vereidigt. Noch-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) wird er mit der kommissarischen Geschäftsführung beauftragen. Die Wahl von Jürgen Rüttgers zum Landesvater erfolgt erst in der nächsten Sitzung am 22. Juni.
Düsseldorf gibt Berlin eine Ahnung von dem, was dort bevorstehen könnte. Die von Gerhard Schröder und Franz Müntefering gewünschten, vom Bundespräsidenten aber noch nicht zugelassenen Neuwahlen im September würden zu viel weiter gehenden Veränderungen führen. Den aus SPD-Sicht größten anzunehmenden Unfall, das »Worst-Case-Szenario«, hat das neutrale Internet-Portal www.election.de schon einmal auf der Basis aktueller Umfragewerte durchgespielt.
Nach dessen Wahlkreisprognose wären bei der Neuwahl zum Bundestag bundesweit zwei Drittel der SPD-Wahlkreise, in Ostwestfalen-Lippe alle ohne Ausnahme stark gefährdet. Von bisher 171 Direktmandaten würde die SPD-Bundestagsfraktion auf 50 zurückfallen. SPD-Granden wie Verteidigungsminister Peter Struck, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter blieben auf der Strecke.
Urplötzlich bekommt die Listenaufstellung bei der SPD einen ganz neuen Stellenwert. Sozialdemokraten kamen 2002 in vielen Bundesländern auf den Landeslisten wegen der großen Erfolge in den Wahlkreisen gar nicht erst zum Zuge.
Die Prognose mit Datum vom 28. Mai wurde von election.de auf der Basis der Ergebnisse von 2002 und aktueller Umfragen errechnet. Danach kämen CDU/CSU auf 245, die Grünen auf einen und die PDS auf drei direkt gewonnene Wahlkreise. Insgesamt gibt es aktuell 109 umkämpfte Wahlkreise mit hochdünnen Mehrheiten.
Dass bis zum Wahltag noch viel Wasser durch Spree, Rhein und Weser fließen, bestätigen für den Wahlkreis Minden-Lübbecke Steffen Kampeter (CDU) und Lothar Ibrügger (SPD) fast unisono. Im traditionell SPD-nahen Mühlenkreis konnte Kampeters Union bei der Landtagswahl am 22. Mai zwar 7000 Stimmen mehr gewinnen als die SPD-Konkurrenz. Dennoch warnt selbst der Unionsmann bei aller Zuversicht für Angela Merkel davor, irgendetwas als sicher zu betrachten. Und Ibrügger (61) bestätigte dem WESTFALEN-BLATT, dass er sich auch beim neunten Mal seinen Wählern direkt und ohne Listenabsicherung stellen könne. Gegen den Trend habe die SPD zuletzt fünf kommunale Stichwahlen gewonnen, auch liege die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen deutlich höher und nicht zuletzt sein politischer Instikt gäben ihm die nötige innere Gewissheit.
Absolut auf Nummer Sicher geht die SPD dagegen im Nachbarwahlkreis Herford. Obwohl der dortige SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Spanier seit drei Jahren seinen Rückzug für 2006 ankündigt, hat er sich am Montag »noch einmal in die Pflicht nehmen lassen«. Seine Lebensplanung sei anders gewesen, sagte Spanier (62) dem WESTFALEN-BLATT, dennoch habe er jetzt dem massiven Drängen aus der heimischen SPD nachgegeben.
Ob Karl Hermann Haack in Lippe mit inzwischen 65 Jahren noch einmal antritt, gar »ran muss«, will er derzeit nicht öffentlich diskutieren. Sein Büro ließ gestern mitteilen, das mache der Chef allein mit der SPD aus.

Artikel vom 02.06.2005