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Grundübel »Mehrfach-Besteuerung«

Steuer-Dschungel gilt Bürgern seit langem als schikanös unfreundlich

Von Rolf Dressler
Bielefeld (WB). Arm an Vorschlägen für Steuersenkungsreformen ist Deutschland gewiss nicht. Ebensowenig mangelt es an Steuersenkungs-Ergänzungsgesetzen. Unbedingt an der Wurzel angepackt werden müsste deshalb endlich das Grundübel des typisch deutschen Steuerrechts: die kapitalauszehrende Mehrfach-Besteuerung sowohl von privaten Sparzinserträgen als auch von Unternehmensgewinnen auf Anlagekapital.

Sträflich säumig geblieben ist die Politik vornehmlich der letzten beiden Jahrzehnte, und zwar gleichermaßen unter bürgerlicher wie - noch weit mehr - unter rot-grün-sozialistischer Regierungsverantwortung. Entweder fahrlässig oder aufgrund ideologischer Borniertheit wurden selbst die plausibelsten und praktikabelsten Generalvorschläge links und rechts des Weges liegengelassen: von den zahllosen 3-Stufen-Modellen mit drei Eingangssteuersätzen bis hin zu der faszinierenden und durchaus wirklichkeitsnahen Idee des Friedrich Merz, die Lohn- und Einkommenssteuer-Formulare auf das Mini-Maß eines Bierdeckels zu verkleinern.
Fast gänzlich unbeachtet blieb so auch die beispielhaft schlüssige Analyse der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) vom November 2000. Sie ist aber von grundsätzlicher Bedeutung und damit aktuell und diskussionswürdig wie eh und je - im Blick auf einen möglichen Regierungswechsel in Berlin könnte sie daher vielleicht sogar als eine Art Steilvorlage für eine durchgreifend frische und wirklich neue Wirtschafts- und Finanzpolitik empfunden werden.
Das WESTFALEN-BLATT dokumentiert zur Veranschaulichung die wesentlichen Textpassagen der ASU-Studie:
Das überfrachtete deutsche Steuersystem, so heißt es darin, kranke fundamental daran, dass es privaten Sparern und Unternehmern Mehrfach-Steuern abzwinge. Auch nach vielen Jahren des Sparens und Investierens gelinge es vielen deshalb häufig kaum oder gar nicht, nennenswertes Kapital anzusammeln. Bereits versteuertes Geld werde aus reiner Geldeintreibungssucht des Staates wieder und wieder besteuert. Volksvermögen in enormer Höhe werde buchstäblich ausgezehrt.
Das Steuerrecht-Dickicht habe sich zu einem undurchschaubaren Dschungel ausgewachsen: Die Menschen müssten es als schikanös »unfreundlichen Akt« gegen das in Sonntagsreden vielbeschworene Leitbild vom mündigen Bürger verstehen - und sogar als indirekte Aufforderung, es mit der Gesetzestreue immer weniger genau zu nehmen.
Weit und breit gebe es selbst unter Fachleuten praktisch niemanden mehr, der das Stuerrecht tatsächlich beherrsche. Jahr für Jahr kämen 600 bis 800 neue Verwaltungsanweisungen hinzu, flankiert von gut 14 000 bzw. 2500 Entscheidungen der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofes. Tendenz: unablässig steigend.
Und: Mit der Dauerflut der Ge- setze sinkt deren inhaltliche Qualität. Sprachwüsten bilden sich heraus. Und dieser Sprachmüll zeitigt oftmals kuriose Folgen. Beispielsweise konnte seinerzeit der Paragraph 4, Absatz 4a des Einkommenssteuergesetzes in der Fassung des sogenannten Steuerentlastungsgesetzes nicht in die Alltagspraxis umgesetzt werden, weil »der konkrete Sinngehalt nicht bestimmbar war«.

Im nächsten Beitrag:
So funktioniert und wirkt die Einmal-Steuer.

Artikel vom 04.06.2005