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Die Schreibkraft mit dem Fünf-Finger-System

Die Jobs der Professoren (23): Sozialwissenschaftlerin Dr. Ursula Müller


Bielefeld (sas). Ein Studentenjob - das war auch für Ursula Müller eine Selbstverständlichkeit. Wie so viele der Professoren von heute hat auch die Soziologin, die seit 1988 an der Universität Bielefeld Sozialwissenschaftliche Frauenforschung lehrt, trotz staatlicher Unterstützung, die sie als Halbwaise bekam, in ihrer Studienzeit Geld hinzu verdienen müssen.
»Ich habe ab Ende der 60er Jahre als Schreibkraft bei einer der ersten Personalverleihfirmen gearbeitet«, erzählt sie. Zunächst in Köln, wo sie Germanistik, Theaterwissenschaften und Sozialwissenschaften studierte, später in Frankfurt, wo sie sich auf die Soziologie konzentrierte, verdingte sie sich. »In Köln habe ich bei einer Versicherung gearbeitet, in Frankfurt bei einer Buchvertriebsgesellschaft. Das hatte den Vorteil, dass ich eine Karte für die Buchmesse bekam und dort am letzten Tag preiswert Bücher kaufen konnte.« 5,50 Mark erhielt die Studentin pro Stunde, »die Firma musste für mich aber zwölf Mark zahlen«, hat sie erfahren. Eine zweite Stelle in Frankfurt hatte sie später bei einem »Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten«, einem Ableger der linken außerparlamentarischen Opposition.
Das Schreibmaschine-Schreiben hatte sie sich selbst beigebracht - auf einer alten »Continental« ihres verstorbenen Vaters: »Ich habe damals Lieder von Bob Dylan nach Gehör auf Englisch mitgeschrieben«, lacht die Soziologieprofessorin. Das Zehn-Finger-System beherrschte sie nie, konnte aber mit vier bis fünf Fingern schnell und fehlerfrei tippen. »Das reichte den Arbeitgebern, zumal ich ja auch erst zur Probe schreiben musste.« Immerhin wurde bemängelt, dass sie keine Ahnung hätte, wie man einen Brief gestalte. »Aber ich hatte die Chance mich einzuarbeiten.« Erst als Ursula Müller eine Stelle als Tutorin im Bereich Statistik und Methoden erhielt, verabschiedete sie sich aus der freien Wirtschaft und schlug endgültig die Hochschullaufbahn ein.
»Das Geld, das ich verdient habe, habe ich für Dinge des täglichen Lebens und Urlaubsreisen ausgegeben«, erzählt die Soziologin. Und mit zwei Mitbewohnern ihrer Wohngemeinschaft teilte sie sich einen alten VW. »Den haben wir für 260 Mark gekauft und waren sehr glücklich mit dem Wagen«, erinnert sie sich. Streit um Beulen gab es nicht: die hatte das Auto schon. »Eher ging es darum, wer ihn wann und wo mit wieviel Benzin abstellte...«

Artikel vom 03.06.2005