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Eine neue Liebe in Paris

Das französische Publikum akzeptiert Mary Pierce

Paris (dpa). Es war ein magischer Moment für Mary Pierce. Sie hielt inne, strahlte über das ganze Gesicht und genoss den tosenden Applaus des Publikums als wäre es das letzte Mal.

»Ich wollte es einfach nur genießen, denn ich wusste, dass dies eine der schönsten Erinnerungen in meinem Leben bleiben wird«, sagte die aus der Versenkung zurückgekehrte Tennis-Diva. Locker und leicht schlug sie in Paris die Weltranglistenerste Lindsay Davenport mit 6:3, 6:2 und zog erstmals seit ihrem French-Open-Sieg 2000 wieder ins Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers ein. Dort trifft sie heute auf die Russin Jelena Lichowtzewa.
»Mary auf einer Wolke«, schrieb die französische Sportzeitung »L'Equipe« über die 30-Jährige, die ihrem dritten Grand-Slam-Titel entgegen zu fliegen scheint: »Ich schwebe wie ein Adler. Der Center Court ist mein Garten, ich fühle mich wie zu Hause.« Vor fünf Jahren schrieb Mary Pierce Geschichte, als sie als erste Französin seit Francoise Durr 1967 das Grand-Slam-Turnier in Roland Garros gewann. Doch angenommen wurde die in Montréal geborene Tochter eines US-Amerikaners und einer Französin von den Parisern lange nicht. Früher beklatschten sie ihre Fehler und machten sich über den amerikanischen Akzent von Mary Pierce lustig, die mit ihrem Benehmen die Ablehnung zusätzlich provozierte.
Inzwischen ist aus ihr eine gelassene Frau geworden, der das Tennisspielen mehr Freude bereitet als in jungen Jahren, in denen sie unter dem Einfluss ihres in der Szene verschrienen Vaters Jim Pierce litt. Die Pariser und Mary Pierce haben einen Neuanfang gewagt, und das nicht nur, weil die Publikumslieblinge Amelie Mauresmo und Richard Gasquet früh gescheitert sind.
Die Franzosen haben heute mehr Respekt vor Mary Pierce, deren Weg zurück ins Rampenlicht beschwerlich war. Nach ihrem French-Open-Sieg vor fünf Jahren stürzte sie aus den Top 100 der Weltrangliste, gepeinigt von Verletzungen an Schulter, Knöchel und Rücken. Doch während alle Welt auf ihren Rücktritt wartete, kämpfte sich Pierce zurück. »Es war eine interessante Reise«, sagt sie. »Ich genieße meine Siege jetzt mehr als früher, weil ich schwere Zeiten durchgemacht habe.«
Dieser Satz könnte auch von Justine Henin-Hardenne stammen, wenngleich das Comeback der Belgierin nach einer lebensgefährlichen Blutviruserkrankung und einer Knieverletzung viel schneller ging. Mit dem Einzug ins Halbfinale durch den 6:4, 6:2-Erfolg über Wimbledonsiegerin Maria Scharapowa machte sie sich selbst das schönste Geschenk zu ihrem 23. Geburtstag am Mittwoch.
Seit ihrer Rückkehr auf die Tour im März hat die Olympiasiegerin nur eins von 25 Matches verloren. »Ich bin überrascht über mein Comeback. Es ging sehr schnell, und mein Spiel ist besser als es jemals war«, sagte Henin-Hardenne vor ihrem Halbfinale gegen die Russin Nadja Petrowa. Wenn sie die French Open gewinnt, wäre das ihr vierter Grand-Slam-Titel.

Artikel vom 02.06.2005