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Leitartikel
Koalitionsverhandlungen

NRW
macht
Tempo


Von Reinhard Brockmann
Die Treppe ist steil, der schwere Teppich tiefrot, und oben empfangen den Besucher dunkle Holzpaneele: Johannes Rau hat die Villa Horion neben den Mannesmann-Hochhaus am Rheinufer in Düsseldorf als Staatskanzlei gedient. Jetzt ist sie eine geschleifte Trutzburg. Kein Schauplatz für schwarz-gelbe Koalitionsgespräche kann beglückender auf die neuen Herren und Damen wirken.
Heute tritt die Zwölferkommission unter Führung von Jürgen Rüttgers zum zweiten von zehn Treffen zusammen. Dazwischen tagen insgesamt sechs Ausschüsse, die Themen und vor allem »Wunschlisten« sammeln, wie es in der Kulisse heißt. Am Ende wird ein Koalitionsvertrag stehen, dessen Beratung bislang durch nichts aufgehalten wird. Am 22. Juni soll der Landtag den neuen Ministerpräsidenten wählen.
Zum Auftakt der Gespräche, zu denen beide Parteien je sechs Vertreter entsandten, strahlten sowohl Rüttgers als auch die FDP-Verhandlungsführer, Landeschef Andreas Pinkwart und Spitzenkandidat Ingo Wolf, um die Wette. »NRW braucht Tempo«, der alte Möllemann-Slogan wurde zwar tunlichst verschwiegen, aber praktisch in die Tat umgesetzt.
Rüttgers will die soziale Marktwirtschaft als bisher erfolgreichstes Modell in der Geschichte der Bundesrepublik wiederbeleben und - entsprechend seiner Ankündigung von Entbürokratisierung - mit der Regelungspolitik brechen.
Vieles findet demnächst auch an der Spree Verwendung: Vorher sagen, was hinterher ist; mehr arbeiten für das gleiche Geld; sparen, auch wenn es weh tut. Nicht nur der Wahlgang, auch die Inhalte sind offenbar Vorlage für die Berliner. Angela Merkel und Guido Westerwelle haben Seite an Seite mit ihren Landesfürsten für den Wechsel in NRW gekämpft und - zumindest - eine Option auf die bundespolitische Führung gewonnen. Bei der Union und auch in der FDP vermischen sich längst die Argumentationslinien.
Pinkwarts Plädoyer für ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen gehört dazu. Auch die plötzliche Bereitschaft der Union, die Eigenheimförderung vielleicht doch zu kippen, fällt in diesen Mittelbereich von Bundes- und Landesthemen.
Größere Hindernisse in Sachfragen sind in NRW nicht zu erwarten. Allein an den Themen Sparkassen, Polizeireform, Gentechnik und Kohle könnten sich die Schwarzen und die Gelben noch reiben. Der bisherige Wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Gerhard Papke, hatte die Latte sehr hoch gelegt: Nur wenn die Steinkohlezechen komplett geschlossen werden, soll es einen Koalitionsvertrag mit der CDU geben. Rüttgers dagegen will die Subventionen halbieren. Wer anders rede, der habe keine Ahnung und sei noch nie eingefahren, sagte der CDU-Landeschef auch vor der Wahl.
Ohne Komplettkürzung der Kohlehilfen dürfte auch das ehrgeizige FDP-Ziel von 8000 neuen Lehrern bei 4000 stecken bleiben. Genau das hat Rüttgers immer zugesagt.

Artikel vom 01.06.2005