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Versuchsreihe vorbei - der
Ernst ersetzt das Experiment

In der WM-Saison wächst mit jedem Tag der Druck auf Klinsmann

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Bielefeld (WB). Woher er nur diesen unerschütterlichen Optimismus nimmt? Vielleicht liegt es daran, dass es ihn nach seiner aktiven Karriere in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten verschlug. Ein Leben in Amerika. Dort, wo alles geht. Wenn man nur fest daran glaubt und alles gibt für seine Ziele.

Um kompletten Blödsinn mag es sich dabei nicht handeln. Und Jürgen Klinsmann, 40, ist sowieso die Zuversicht in Person. Der Bundestrainer packt an und steckt an: Okay, Jungs, auf geht's. Werden wir also Fußball-Weltmeister. Garantieren kann er es nicht. Aber einen Versuch ist es allemal wert.
Der gewiefte Schwabe - seit einigen Jahren ein Semi-Kalifornier - soll und will die DFB-Auswahl 2006 zum vierten WM-Titel führen. Vor 15 Jahren stürmte Klinsmann noch selbst, als im Finale gegen Argentinien ein 1:0 gelang. Er hätte sich an diesem Abend in Roms Olympiastadion sicher nicht vorstellen können, einmal als Boss der deutschen Ball-Elite die Bank zu besetzen.
Irgendwie hat Klinsmann auch der Teufel geritten, als er sich nach dem EURO-Erdsturz in Portugal in die Krise an der Kugel einschaltete und den Herren vom Verband deutlich zu verstehen gab, dass so ziemlich alles auf den Kopf gestellt werden müsse, wenn es wieder besser werden solle. Nach diesen Worten war klar: Klinsmann hatte sich selbst ins Spiel gebracht, die Ahnenkette Otto Nerz, Sepp Herberger, Helmut Schön, Jupp Derwall, Franz Beckenbauer, Berti Vogts, Erich Ribbeck, Rudi Völler fortzuführen.
Nun möchte Klinsmann nach dem »Kaiser« der Zweite sein, der erst als Spieler und dann als Trainer den Gipfel erklimmt. Wie er sich daran gemacht hat, brachte ihm vom ehemaligen Bayern-Kollegen Lothar Matthäus schon den Beinamen »Killer« ein. Als würde Klinsmann sogar über Leichen gehen, um Weltmeister zu werden.
Es ist nur so, dass er gern seine eigenen Leute nimmt und es deshalb auf ein paar Positionen einen Exitus zu vermelden gab, seitdem Klinsmann und sein Personalstab anrückten. Zuletzt stieg Erich Rutemöller als langjähiger DFB-Assistenzcoach aus, zuvor hatten schon Torwart-Trainer Sepp Maier und Pressechef Gerhard Meier-Röhn abgedankt. Auch für DFB-Direktor Bernd Pfaff war kein Platz mehr, weil sich nun Oliver Bierhoff als Team-Manager um die Nationalmannschaft kümmert. Klinsmanns »Assi« Joachim Löw vervollständigt das Trio der neuen deutschen Hoffnungsträger.
Klinsi, Olli und Jogi - die dynamischen Drei sollen es richten. Die Herangehensweise ist herausfordernd - das gilt auch beim Aussuchen geeigneter Fußballspieler. Unter der neuen Leitung startete eine lange Versuchsreihe mit vielen Debütanten. Der Bundestrainer nähert sich aber dem Ende der Testphase. Schon beim Confederations Cup vom 15. bis 29. Juni, bei dem Gastgeber Deutschland über die Vorrunde gegen Australien, Tunesien und Argentinien bis in Halbfinale und Endspiel vordringen möchte, wird ziemlich genau hingeschaut. Bis jetzt war alles nur Spaß, nun kommt auch der Ernst hinzu.
Wobei der »Verkäufer« Klinsmann im Dienst der guten WM-Sache immer prächtig drauf ist und seine Männer auch dann noch über den grünen Klee lobt, wenn die auf dem Rasen mal nicht so doll waren. Ganz Genaues weiß man nicht, das Bild bleibt noch diffus: Es gab gute Ansätze, doch tun sich die Deutschen immer noch schwer damit, der Klasse ihrer Nationalmannschaft zu trauen. Und das gilt dann wohl auch für ihren Bundestrainer. Auch für Jürgen Klinsmann wächst dazu mit jedem Tag die Verantwortung, weil er angetreten ist, um diesem Land etwas zu zeigen: Dass hier immer noch ein potentieller Fußball-Weltmeister zu Hause ist.

Artikel vom 09.06.2005